Sind die Diskussion um Klimawandel und Mikroplastik reine Hysterie, oder sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

Beim Thema Klimawandel kann man nicht hysterisch genug sein. Die Wissenschaft ist sich einig, dass es sich um eine echte Krise handelt, auf die Regierungen weltweit reagieren müssen. Mit Mikroplastik verhält es sich etwas anders: Auch wenn es gut ist, dass Verbraucher inzwischen ein Bewusstsein für Kunststoffmüll entwickeln und dafür, dass dieser nicht in die Umwelt gehört, stehen wir hier erst am Anfang der Forschung: Wie wirkt sich Mikroplastik auf unsere Gesundheit aus? Auf welchen Wegen gelangt Plastik ins Meer? Wie interagiert es mit unserem Ökosystem? Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie konkret Einfluss auf das Thema Kunststoff in der Umwelt nehmen können – vielleicht, weil es visuell und emotional sehr präsent ist: Denken Sie nur an die Bilder von Meeresschildkröten, die mit Plastikmüll verwachsen sind, und die zu einem Synonym für die Verunreinigung der Ozeane geworden sind. Demgegenüber ist der Klimawandel ein sehr abstraktes Phänomen, dem sich viele Menschen hilflos ausgeliefert fühlen. Wirksamer Klimaschutz erfordert eine fundamentale Veränderung unserer Gesellschaft und stellt uns vor die ultimative Frage, inwieweit Massenkonsum und Nachhaltigkeit überhaupt vereinbar sind.

Welchen Anteil hat Verpackung am Klimawandel?

Verpackungen spielen eine gewisse Rolle – aber nicht immer so, wie man vielleicht denkt. Im 2016 veröffentlichten ‚Project Drawdown‘ des Aktivisten Paul Hawken steht beispielsweise die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung auf Platz drei einer Rangliste der 80 wirkungsvollsten Maßnahmen gegen den Klimawandel. Nach Angaben der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, werden weltweit rund 30 Prozent aller Lebensmittel weggeworfen. Das sorgt für acht Prozent des globalen Ausstoßes an Treibhausgas. Dem wirken auch Lebensmittelverpackungen entgegen, indem sie die Produkte beim Transport und vor Verderb schützen – das muss man bei aller Aufregung um Verpackungsmüll auch sehen und anerkennen. Lassen Sie uns konkret über verschiedene Verpackungsmaterialien sprechen. Papier zum Beispiel kann eine nachhaltige Lösung sein, muss es aber nicht. Seine Herstellung aus Holz erfordert eine verantwortungsbewusste Beschaffung, die sicherstellt, dass Wälder regeneriert und geschützt werden – auch der Verlust von Waldflächen trägt schließlich zum Klimawandel bei. Der sorgfältige Einsatz dieser nachwachsenden Ressource kann sich also positiv auf den Klimaschutz auswirken. Auf Mülldeponien wiederum bildet Papierabfall Methan, das ähnlich klimaschädlich ist wie CO2. Deshalb sind das Recycling und die Wiederverwendung solcher Materialien wichtig für den Klimaschutz. Das gilt auch für Plastik, Glas oder Aluminium. Unterm Strich ist der CO2-Footprint von wiederverwerteten Verpackungsmaterialien insgesamt meistens kleiner als von Neumaterial. Die Verarbeitung von recyceltem Aluminium zum Beispiel verbraucht 95 Prozent weniger CO2 als die Herstellung von neuem Aluminium.

Das klingt so, als gäbe es keine einfachen Antworten.

Ja, je tiefer man in das Thema einsteigt, desto verwirrender wird es. Man stellt fest, dass es meistens um Zielkonflikte und Kompromisse geht. Steht Recycelbarkeit im Vordergrund oder der Klimaschutz? Aus meiner Sicht sollte Letzteres der Maßstab sein.

»Es gibt noch zu viele Marken, deren Verpackungen nicht unter Recycling­-Aspekten gestaltet und hergestellt werden.«

Tristanne Davis
Senior Manager bei der Sustainable Packaging Coalition (SPC)

Sustainable Packaging Coalition in Luxemburg lehnt schwammige Aussagen der Industrie und regelrechte Grünfärberei ab.
Davis sieht vor allem die Gesetzgeber in der Pflicht, gute und wissenschaftlich basierte Nachhaltigkeits­regeln zu definieren.
Auf einer Liste der wirkungsvollsten Maßnahmen gegen den Klimawandel steht die Vermeidung von Lebensmittel­verschwendung auf Platz drei, betont Tristanne Davis.

Welchen Anteil haben Verpackungen an der ­Verschmutzung der Weltmeere?

Laut der Organisation Ocean Conservancy, die jedes Jahr große Müllsammelaktionen an Stränden durchführt, sind sechs von zehn aufgelesenen Gegenständen Verpackungen. Dazu zählen unter anderem Lebensmittelverpackungen sowie Plastikflaschen, -deckel und -tüten. Das zeugt von schlechtem Müllmanagement in weiten Teilen der Welt sowie von einer mangelnden Infrastruktur sowohl für die Sammlung als auch für die Sortierung und Verarbeitung von Verpackungsabfällen. Entsprechend sind die meisten Länder der Top-20-Verursacher Schwellenländer aus Asien und Afrika. Aber selbst die USA belegen auf dieser Liste Platz 20, und die EU würde, wenn man sie als ein Land betrachtete, Rang 18 einnehmen. Hier ist das Müllproblem auf Ignoranz und Faulheit zurückzuführen oder, zum Beispiel in ländlichen Gebieten, auf eine eingeschränkte Erreichbarkeit der Infrastruktur.

Gute Verpackung, schlechte Verpackung – gibt es das überhaupt?

Ja, absolut. Das erste wichtige Kriterium ist, ob eine Verpackung ihre Aufgabe, das Produkt zu schützen und zu umhüllen, erfüllt oder nicht. Wenn ein Nahrungsmittel aufgrund einer Beschädigung oder eines Mangels an seiner Verpackung verdirbt oder eine Flüssigkeit verschüttet wird, hat die Verpackung versagt. Die eingesetzten Ressourcen sind somit vergeudet. Zweitens hat die Verpackung immer mehr auch die Aufgabe, nachhaltig zu sein. Das heißt, sie sollte ­unter Verwendung von Material aus nachhaltigen Quellen hergestellt, für die Lieferkette optimiert sowie am Ende ihrer Lebensdauer wiederverwertbar sein. Eine Verpackung, die ihre beiden Aufgaben nicht ­erfüllt, würde ich als schlecht bezeichnen.

Wie relevant ist die Verpackungsdiskussion für den ­durchschnittlichen Verbraucher und wie beeinflusst sie Markenhersteller?

Auch wenn die Nachhaltigkeitsdebatte für verschiedene Konsumentengruppen unterschiedlich wichtig ist, kann man doch feststellen, dass sie inzwischen bei allen Verbrauchern eine gewisse Aufmerksamkeit genießt und das Bedürfnis nach Veränderung weckt. Die Verschmutzung der Meere erregt öffentliche Besorgnis – nicht nur bei den sogenannten Millenials. Zugleich üben NGOs wie Greenpeace Druck auf Markenhersteller aus und nutzen dafür die sozialen Netzwerke, wo die Reputation einer Marke schnell Schaden nehmen kann. Viele Unternehmen entwickeln Taktiken, um auf diesen Druck zu reagieren. Manche gehen damit klug und umsichtig um, andere beschränken sich auf Grünfärberei und meinen, dass sie den Verbraucher von ihren guten Absichten überzeugen können.

»Marken müssen korrekte Angaben machen, damit ihre ­Käufer eine informierte Entscheidung treffen können.«

Tristanne Davis
Senior Manager bei der Sustainable Packaging Coalition (SPC)

Wie können speziell Markenhersteller das Thema sinnvoll angehen?

Es hilft, wenn Marken ihre Entscheidungen und ihr Handeln erklären und sich dazu verpflichten, im Rahmen ihrer Einflussmöglichkeiten kontinuierliche Verbesserungen vorzunehmen. Jeder hat schließlich die Kontrolle über sein Verpackungsportfolio und hat es in der Hand, dieses nachhaltiger zu gestalten. Auch wenn Markenhersteller keinen direkten Einfluss auf die Abfallwirtschaft haben, können sie zum Beispiel in Fonds investieren, die dazu beitragen, die Infrastruktur von Abfallsammelsystemen in Schwellenländern zu verbessern. Der Lohn sind Vertrauen der Konsumenten und eine bessere Wiederverwertung.

Was muss sich im Verpackungsbereich ändern?

Nun – Unternehmen sollten bei den greifbaren Zielen beginnen. Es gibt immer noch zu viele Marken, deren Verpackung nicht unter Recyclingaspekten gestaltet und hergestellt wird – das wäre doch die leichteste Übung. Verglichen mit Wiederverwendung oder Kompostierung ist Recycling das weltweit am weitesten verbreitete Verwertungssystem. Wer eine Packung entwickelt, kann dafür sorgen, dass diese einen Mehrwert für das Recycling bietet und damit das System am Leben hält.

Wie kann der Verbraucher zwischen Marketingmaßnahme und echtem ökologischen Engagement unterscheiden?

Verbraucher können keine Experten zu jedem Aspekt von Nachhaltigkeit sein – das wäre zu viel verlangt. Dennoch müssen Marken korrekte Angaben machen, damit ihre Käufer eine informierte Entscheidung treffen können. Es gibt nichts Schlimmeres, als falsche oder missverständliche Aussagen zu machen. Was bedeuten beispielsweise Versprechen wie ‚Diese Tüte ist nachhaltig‘ oder ‚Dieser Becher ist biologisch abbaubar‘ genau? Neben solchen schwammigen Aussagen gibt es aber auch regelrechte Grünfärberei: Wussten Sie, dass es Fälle von braunen Papiertüten gibt, die gezielt eingefärbt werden, damit man glaubt, sie seien recycelt, obwohl das gar nicht zutrifft? Wenn eine Marke es versäumt, mit ihren Käufern korrekt zu kommunizieren, übernehmen das die NGOs mit Hilfe der sozialen Medien. Letztendlich ist jedoch der Verbraucher selbst in der Pflicht, sich ein Bild zu machen. Je ehrlicher ein Unternehmen sich erklärt, desto besser aufgeklärt sind seine Kunden.

»Solange Waren um die ganze Welt geflogen werden, können wir auf Transportverpackungen nicht verzichten.«

Tristanne Davis
Senior Manager bei der Sustainable Packaging Coalition (SPC)

Ist Recycling die richtige Antwort? Wo liegen seine ­Möglichkeiten und Grenzen?

Innerhalb des Spektrums der Verwertung, zu der neben Recycling auch Kompostierung sowie Wiederverwendung gehören, ist Recycling das am besten ausgereifte System. Während es rund um die Welt für eine Reihe von Materialien sehr gut funktioniert, klappt es mit anderen Werkstoffen in bestimmten Märkten überhaupt nicht. Die Kritik am Recyclingsystem ist angesichts seiner Lücken einerseits durchaus berechtigt. Andererseits gibt es aber auch eindrucksvolle Erfolgsgeschichten, insbesondere bei Materialien von vergleichsweise hohem Wert. Stahl, Aluminium und Wellpappe erzielen weltweit hohe Recyclingraten. Hingegen werden weltweit nur neun Prozent aller Plastikverpackungen überhaupt recycelt – in der EU beträgt dieser Anteil immerhin 42 Prozent. Welt­spitze ist Deutschland mit einer Quote von fast 56 Prozent – wohl aufgrund seiner strengen Mülltrennungsregeln und dank seines Pfandsystems für Einwegflaschen, das erst jetzt in anderen Märkten getestet wird. Umgekehrt bleibt es aber dabei, dass wir weltweit stolze 91 Prozent unserer Plastikabfälle nicht wiederverwerten. Dazu gehören auch die 8 Millionen Tonnen, die jedes Jahr in den Ozeanen landen.

Ein Erfolgsmodell ist Recycling dort, wo der Wert des Materials vom Markt erkannt wird und die Infrastruktur entsprechend entwickelt ist. In Brasilien etwa fließen 54 Prozent der Plastikflaschen in den Wertstoffstrom zurück – gegenüber nur 30 Prozent in den USA, wo es weniger Sammelanreize gibt. Recycling ist ein notwendiger Bestandteil der Lösung, der nachweislich für viele Materialien funktioniert. Wir müssen daran arbeiten, es auch in den Märkten und für die Stoffe zu verbessern, bei denen es bisher noch nicht so wirkungsvoll ist. Zugleich müssen wir aber auch unsere Anstrengungen intensivieren, mehr Wertstoffe wiederzuverwenden und zu kompostieren.

Welche Stakeholder sind überhaupt in der Lage, Veränderungen zu bewirken? Wer muss den ersten Schritt gehen?

Ich meine, dass zuallererst die Gesetzgeber in der Pflicht sind. Wenn sie entsprechend gute, wissenschaftlich basierte Nachhaltigkeitsregeln definieren würden und in allen Supermärkten nur noch Verpackungen stehen, die diesen Normen entsprächen, müssten Konsumenten gar nicht mehr nachdenken und unsere Probleme wären gelöst.

Die EU ist am weitesten auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft fortgeschritten und unternimmt weitere Schritte in diese Richtung. Viele Unternehmen unterstützen konsistente Regulierung inzwischen, denn sie erkennen, dass diese ihnen Orientierung und Klarheit bietet. Diese Bewegung, die von Europa ausgeht, zeigt Wirkung auf der ganzen Welt, nicht nur in Kalifornien und Kanada, wo Regierungen genau hinsehen, was in Brüssel passiert. Starken Einfluss auf das System haben auch die globalen Markenhersteller und großen Handelsketten: Für sie sind effiziente und nachhaltige Packungslösungen, die beim Verbraucher funktionieren, zunehmend wichtiger.

Was sind sinnvolle Initiativen, die den kompletten Verzicht auf Verpackungen ermöglichen, und ist das ein erfolgversprechender Weg?

Auch wenn wir auf dem lokalen Markt mit unserem Einkaufskorb zurechtkommen – solange Waren um die ganze Welt geflogen und von vielen Menschen angefasst werden, können wir auf Transportverpackungen nicht verzichten, schon unter den Aspekten des Produktschutzes und der Hygiene. Trotzdem gründen sich immer mehr Initiativen, die Verpackung reduzieren wollen. So gibt es heute in verschiedenen Ländern schon die Möglichkeit, sich selbst Bohnen, Kaffee oder Waschmittel in mitgebrachte Behälter zu füllen. Ein anderes Beispiel ist ‚Ooho‘, eine durch ein britisches Designerteam entwickelte kugelförmige Portion Wasser, die in eine essbare Folie aus Seetang eingepackt ist.

Was ist Ihre Vision für eine Verpackung der Zukunft? Wie werden wir Lebensmittel und Getränke in 20 Jahren verpacken?

Die Trends von heute werden morgen der Mainstream sein. Wir werden eine große Vielfalt an Verpackungen haben, aber auch zahlreiche Geschäftsmodelle, bei denen die Verpackung die Funktion eines Service übernimmt. Im Lebensmittelbereich werden wir erleben, dass der Onlinehandel stark zunimmt – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Und ich bin davon überzeugt, dass wir smarte Lösungen haben werden, die dem Hersteller Informationen über unsere Nutzungsgewohnheiten seiner Produkte übermittelt – und vielleicht auch darüber, was wir mit der Verpackung anstellen.