Mrs. Touchon smiling in front of plants
Trendinterview

Der 360-Grad-Blick

12.06.2024 ,

13 Min. Lesedauer

2007 gegründet, ist EcoVadis heute der weltweit führende Anbieter von Nach­haltigkeits­bewertungen. Im Pariser Headquarter sprechen wir mit Valérie Touchon, die seit Tag 1 zum inneren Führungskreis zählt, über das Geschäftsmodell, den Erfolg und die Zukunft des Ratingunternehmens sowie über ihre persönlichen Ansichten rund um Nachhaltigkeit.

Frau Touchon, seit 2021 sind Sie bei EcoVadis in der neu ge­schaffenen Position des Chief Impact Officers tätig. Welche Aufgaben umfasst Ihre Rolle? 

Meine Hauptaufgabe in diesem Job ist es, den Impact zu verstärken, den Kunden durch die Nutzung unserer Produkte und Dienst­leistungen erzielen können. Parallel dazu bin ich bei EcoVadis selbst für Nachhaltigkeit verantwortlich, also unter anderem für unseren eigenen CO2-Fußabdruck und eine nachhaltige Beschaffungspolitik. Das ist ziemlich spannend, weil mein Team und ich das, was wir unseren Kunden vermitteln, nun auf uns selbst anwenden müssen. Dabei merken wir, dass die Fragen, die wir stellen, nicht so einfach zu beantworten und die Maßnahmen, die sich daraus ergeben, durch uns nicht so leicht umzusetzen sind. Das finde ich sehr anregend.

 

Was hat Sie dazu motiviert, sich als Frau der ersten Stunde in einem Unternehmen zu engagieren, das anderen bescheinigt, gewisse An­forderungen an Nachhaltigkeit mehr oder weniger gut zu erfüllen?

Als wir starteten, war Nachhaltigkeit schon ein großes Thema – außer im Beschaffungsbereich. In meiner Arbeit als Vertrieblerin habe ich festgestellt, dass Unternehmen sich bereits um ihre eigenen Umweltauswirkungen kümmerten und damit begonnen hatten, ihren CO2-Fußabdruck zu analysieren. Es hat aber lange gebraucht, dafür zu sensibilisieren, dass zwischen 50 bis 90 Prozent ihres operativen Budgets für Produkte und Leistungen externer Partner ausgegeben werden. Dabei stellen sich natürlich viele Fragen: Wie gut kenne ich meine Lieferanten? Wie stelle ich sicher, dass diese sich an das Verbot der Kinderarbeit halten oder keine Produkte kaufen, die aus sogenannten Konfliktmineralien¹ hergestellt wurden? Das waren seinerzeit neue Anliegen und wir haben diese Marktlücke schnell erkannt. Ich mochte den Pioniergeist und die Idee, Teil einer ganz neuen Sache zu sein. Und schließlich die Menschen – von Anfang an haben wir ein Team von außergewöhnlichen Kolleginnen und Kollegen um uns versammelt, die unsere Werte und unser Engagement respektierten und sich ganz praktisch der Frage widmeten, wie wir die Welt auf eine wirklich mutige Art und Weise zum Positiven verändern können.

eine Frau sitzt an einem Tisch

Zur Person

Valérie Touchon

Ihre berufliche Laufbahn beginnt die Französin erst als Vertrieb­lerin, dann als Headhunterin im Tech-Bereich, unter anderem zwei ­Jahre in Polen.

Zurück in Frankreich, startet Valérie Touchon 2007 als eine der ersten fünf Mitarbeitenden bei EcoVadis – verantwortlich für das Neugeschäft.

Ab 2014 leitet sie das Customer Success Team ­zunächst in Paris, später in New York. Seit 2021 ist Touchon als Chief Impact Officer tätig. Sie lebt in Paris und San Francisco.

Wenn Sie vom Beschaffungsbereich sprechen, meinen Sie die klassischen Einkaufsabteilungen großer Unternehmen?

Genau. Wir haben zwei Arten von Kunden: Eine Kategorie umfasst multinationale Unternehmen wie BASF, Bayer, L’Oréal oder Verizon, um nur einige zu nennen. Deren Beschaffungsabteilungen bieten wir an, Transparenz in die Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette zu bringen. Die zweite Kategorie sind deren Zulieferer, mit denen wir im direkten Kontakt eine gründliche Analyse erstellen. Das Ergebnis machen wir sowohl den bewerteten als auch dem anfordernden Unternehmen zu­gänglich. Dann können beide Seiten in einen Dialog darüber treten, welche Praktiken wie verbessert werden können. Daraus entsteht ein positiver Kreislauf. Das ist die ursprüngliche Idee von EcoVadis: Das Geschäft von innen heraus auf nachhaltige Weise zu verändern.

 

Wie würden Sie das Konzept von EcoVadis zusammenfassend beschreiben?

Kontinuierliche Verbesserung, die einen echten Wandel bewirkt – im Unterschied zu einem auf die Einhaltung von Regeln und Normen beschränkten Ansatz, der nur das geforderte Minimum erfüllt. Unser Rating folgt einem anderen Konzept: Nachhaltigkeit hat kein endgültiges Ziel, denn die Messlatte wird immer höher gelegt. In puncto Umwelt, soziale Praktiken und ethische Führung gibt es deshalb immer etwas zu tun. Die EcoVadis Scorecard bietet dafür einen ersten Blick darauf, wo Unternehmen stehen und in welche Richtung sie sich entwickeln könnten. Diese Erkenntnisse ermög­lichen unseren Kunden, sich immer weiter zu verbessern und voranzukommen.

 

Lassen Sie uns darüber sprechen, inwieweit Technologie Ihre Bewertungsprozesse unterstützt. 

Wir bewerten umfassende Lieferantennetzwerke von Unternehmen, die sich der kontinuierlichen Verbesserung ihrer Nachhaltig­keitsleistung verschrieben haben. Das sind rund 1.000 Konzerne, deren Lieferanten wir evaluieren, in der Getränkeindustrie zum Beispiel Coca-Cola oder Danone. Die bewerteten Zulieferer wiederum müssen sich fragen, wie es um ihre eigenen Lieferketten bestellt ist. Das löst einen positiven Dominoeffekt aus, in dessen Verlauf wir bis heute über 125.000 Unternehmen geratet haben.

Technologie ist dabei unser Rückgrat. Wir investieren laufend in die Aktualisierung unserer Lösungen. Schließlich müssen wir nicht nur mit der schieren Zahl der bewerteten Kunden Schritt halten, sondern uns auch an deren fortschreitenden Reifegrad sowie an den sich unter zunehmender Regulierung weiterentwickelnden Markt anpassen. Unser Ratingsystem muss agil genug sein, um schnell auf diese dynamischen Kräfte zu reagieren.

„Anstelle von Compliance, also der bloßen Einhaltung von Regeln und Normen, zielt unser Ansatz auf kontinu­ier­liche Verbesserung ab, die einen echten Wandel bewirkt.“

eine Frau sitzt an einem Tisch vor einem Laptop

Valérie Touchon

Chief Impact Officer, EcoVadis

Was sind neben der EcoVadis Scorecard die wichtigsten von Ihnen bereitgestellten Produkte und Dienstleistungen?

Wir entwickeln uns aktuell von einem Ein-Produkt- zu einem Mehr-Produkte-Unternehmen, insofern kommt Ihre Frage genau zum richtigen Zeitpunkt.

Wir müssen zwei Dinge tun, wenn wir eine Wirkung erzielen wollen. Erstens geht es darum, eine größtmögliche Zahl von Unternehmen für unseren Kreislauf von Bewertung und Verbesserung zu gewinnen. Wenn sie Teil unseres Netzwerks sind, müssen wir sie zweitens mit Daten und Informationen versorgen, sodass sie ihre Nachhaltigkeits­praktiken kontinuierlich optimieren können. Ein Produkt in unserem Portfolio ist IQ Plus, mit dessen Hilfe wir Zigtausende von Firmen erfassen können, um ihr Nachhaltigkeits­risiko zu bewerten. Dafür gibt uns ein Global Player wie zum Beispiel Bayer eine Übersicht mit rund 50.000 Zulieferern. Damit füttern wir unser System, das anhand einer Reihe von Kriterien wie Branche, Größe, Region und mit Hilfe all der Daten, die wir in den 16 Jahren unseres Bestehens gesammelt haben, einen Risikograd prognostizieren kann. Unser Bewertungsmodul ergänzt diese erste Risikoanalyse um einen Fragebogen, mit dem wir detailliertere Ergebnisse liefern können. Dabei handelt es sich um einen sehr tiefgreifenden ­Prozess, der insgesamt 21 Kriterien aus den vier Bereichen Umwelt, Soziales, Ethik und Lieferkette umfasst. Wir berücksichtigen nicht nur die vom Lieferanten bereitgestellten Daten, sondern betrachten mit einem 360-Grad-Ansatz auch den Input aus externen Quellen wie NGOs, Industrieverbände oder Zertifizierungsstellen. 

Kürzlich haben wir auch ein reines CO2-Rating­modul entwickelt, das zum Beispiel einen CO2-Rechner enthält, mit dem unsere Kunden ihren Fußabdruck ­ermitteln können. In diesem Zusammenhang besteht unser Sweet Spot darin, Unternehmen anzusprechen, die in puncto CO2-Management über einen geringen Reifegrad verfügen.

 

Wie behält man die Kontrolle über ein Unternehmen, das so rasant wächst wie EcoVadis?

Durchschnittlich verzeichnen wir jedes Jahr einen Zuwachs von rund 40 Prozent – sowohl beim Umsatz als auch bei der Zahl der bewerteten Firmen. Das ist in der Tat eine Herausforderung, über die wir uns jedoch nicht beklagen. Wir hatten sehr viel Glück mit den sehr engagierten, effizienten und professionellen Menschen, die wir eingestellt haben. Insgesamt beschäftigen wir heute weltweit ein Team von rund 1.700 Mitarbeitenden. Wir erwarten zwar Flexibilität und Belastbarkeit, legen aber auch großen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance – das ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Und wir haben früh auf Globalisierung gesetzt, indem wir nach nur zwei Jahren Englisch zu unserer Unternehmenssprache gemacht haben. Hier arbeiten Menschen aus mehr als 70 Nationen, und wir sind in 12 Ländern vertreten, außer in Europa natürlich in den USA, in Hongkong, ­Singapur, ­Japan und Australien, um nur ein paar zu nennen. 

Frau Touchon sitzt mit erhobenen Händen an einem Schreibtisch
Frau Touchon sitzt mit einem Laptop und einem Gras Wasser an einem Schreibtisch

Zu den Aufgaben Touchons gehört es zu verhindern, dass EcoVadis von ­Unternehmen als Greenwashing-Maschine benutzt wird.

Wie verteilen sich die von EcoVadis bewerteten Unternehmen nach Regionen und Branchen?

Ich möchte vorausschicken, dass aus unserer bisher sehr globalen Welt durch die Coronapandemie und geopolitische Verschiebungen inzwischen eine eher regionale geworden ist. Das bedeutet viel Arbeit für unsere Kunden, weil sie ihre Lieferketten neu organisieren müssen – das ist wiederum gut für uns. Aufgrund unserer Historie sind wir natürlich stark in Europa vertreten, aber zugleich bewerten wir zahlreiche Unternehmen in China und ganz Asien, wo wir sehr dynamisch wachsen. In den USA steigern wir unseren Marktanteil sehr schnell. Hier ist die Regulierung auf Bundesebene relativ schwach, sodass vieles den einzelnen Staaten oder den Unternehmen selbst überlassen bleibt. Entsprechend uneinheitlich ist die Landkarte: Kalifornien beispielsweise hat die zukünftigen EU-Vorschriften zur Sorgfaltspflicht und Offenlegung in der Lieferkette mehr oder weniger übernommen. Einige amerikanische Unternehmen sind bei diesen Dingen fortschrittlicher, weil sie bereits erkannt haben, dass Transparenz für ihren Erfolg unerlässlich ist. In Afrika ist EcoVadis noch nicht aktiv, hier sehen wir aber zukünftig großes Potenzial.

 

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit bestimmte Branchen oder Regionen reifer werden? 

Erstens vereinfacht Regulierung vieles. Zweitens müssen Konsu­menten und die Gesellschaft ihre Autonomie einsetzen, um ein bestimmtes Verhalten von Herstellern und dem Handel einzufordern. Und drittens können Unternehmen selbst enorme Wirkung entfalten, um Dinge zum Positiven zu verändern, sobald die Kaskadeneffekte ihrer Lieferkettenanalyse zum Tragen kommen.

 

Wie sorgen Sie trotz aller Unterschiede in den Branchen und Regionen für einheitliche Bewertungsstandards?

Das bringt uns zurück zu unserer Ratingmethodik: Wir führen für rund 200 Branchen Wesentlichkeitsanalysen durch und definieren auf Basis von Best Practices relevante Benchmarks für ­Kriterien wie Ethik, Arbeitsbedingungen, Vermeidung von Kinderarbeit und Treibhaus­gasemissionen, Abfallmanagement. Zusätzlich fließt die Betriebs­größe in die Beurteilung ein: Je größer, desto umfassender sind der Impact und die Verantwortung. Auch das jeweilige Land kann ein Faktor sein: Obwohl es auf der ganzen Welt Regulierung gibt, wird sie nicht überall gleich rigoros durchgesetzt. Für einige Länder fügen wir also Kriterien hinzu, zum Beispiel zum Thema ­Menschenrechte. Als Eckpfeiler unserer Ratingmethodik nutzen wir ISO 26000², GRI-Richtlinien³ und ILO-Normen sowie weitere übergeordnete internationale Standards. Aber wenn wir ein Unternehmen erstmals bewerten, erstellen wir einen Fragebogen, der speziell auf seine individuellen Parameter zugeschnitten ist. Hinter unserem nahtlosen Prozess steckt eine hohe Komplexität.

„Was Unternehmen als ­ihren Beitrag für einen besseren Planeten und eine bessere Ge­sellschaft ­beanspruchen, ist oft schlichtweg unglaubwürdig.“

Valérie Touchon

Chief Impact Officer, EcoVadis

Gibt es Grenzen, wie genau und objektiv Ihre ­Bewertungen sein können, und was tun Sie, um diese zu überwinden?

Wir stellen hohe Ansprüche an unsere Bewertung. So überwacht etwa ein eigenes Team die Qualität unserer Leistungen in Bezug auf Konsistenz und Genauigkeit. Zudem überprüfen wir jede einzelne Aussage des Unternehmens auf entsprechende Nachweise und Dokumentation. Hierzu zählt auch der zusätzliche direkte Check über die Zertifizierungsstellen, um festzustellen, ob ein Zertifikat noch gültig oder vielleicht schon abgelaufen ist. 

Auch wenn unser Überprüfungsprozess sehr genau ist: Es gibt keine Perfektion. Wir können nie hundertprozentig sicher sein, dass ein Unternehmen tatsächlich umsetzt, was es behauptet. Green­washing ist und bleibt hier ein generelles Problem. Und was Unternehmen als ihren Beitrag für einen besseren Planeten und eine bessere Gesellschaft beanspruchen, ist oft schlichtweg unglaub­würdig.

 

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Kunden ihr Rating nicht für Greenwashing nutzen?

Wir haben ein Medaillen-Anerkennungsprogramm, mit dem wir ein bestimmtes Bewertungsniveau belohnen. Da heute jeder Nachhaltigkeit für sich in Anspruch nimmt, müssen wir sicherstellen, dass unsere Auszeichnungen gut kontrolliert und nur diejenigen prämiert werden, die sich durch herausragende Praktiken profilieren. Das erfordert, dass wir unsere Maßstäbe zunehmend strenger gestalten, um die Idee der kontinuierlichen Verbesserung aufrecht­zuerhalten. Und wir müssen uns dagegen wehren, als „Greenwashing-Maschine“ benutzt zu werden – das wäre verheerend für unsere Reputation als führender Anbieter von Nachhaltig­keits­ratings. 

Es geht also um Qualität, Kontrolle und Governance. Um bestmögliche Qualität und hohe Unvoreingenommenheit sicherzustellen, haben wir unseren Bewertungsbereich vom Rest des Unternehmens separiert, aber wie gesagt: Es gibt hier keine hundertprozentige Sicherheit, auch wenn wir viel Zeit, Ressourcen und Geld investieren, um das Risiko von Fehlurteilen zu minimieren.

 

In Ländern wie Deutschland diskutiert man darüber, wie sinnlos es ist, das eigene Verhalten auf den Kopf zu ­stellen, während der Rest der Welt weiter Müll produziert und CO2 ausstößt, als gäbe es keine Klimakrise. Wie ­begegnet man diesen Skeptikern und Pessimisten?

Teil unseres Jobs ist es, zu schulen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir glauben fest daran, dass sich die Wirtschaft verändern wird, und indem wir uns auf die Lieferketten fokussieren, können wir den positiven ­Effekt dieser Veränderung vervielfachen. Wie bei jedem anderen Transformationsprojekt gibt es auch beim Klimawandel 10 Prozent Leugner, während weitere 10 Prozent sagen, dass man unbedingt sofort handeln muss. Der Rest ist weitgehend indifferent. Unsere Aufgabe ist es, das im Rahmen unserer Möglichkeiten zu ändern und Menschen davon zu überzeugen, Geschäfte auf nachhaltigere Weise zu machen. Das ist ein langfristiges Ziel, und ich bin nicht sicher, ob wir noch genug Zeit haben. Aber ich hoffe, dass zunehmende Regulierung, ­speziell in ­Europa, diese Entwicklung beschleunigen wird, indem sie die Spielregeln verändert.

 

Solarpaneele auf Dächern, LED-Leuchtmittel statt Glühbirnen, Dienstreisen mit dem Zug statt per Flugzeug – sind das bloß Feigenblätter? Wo sehen Sie wirklich wirksame Hebel, um deutliche Fortschritte im Klimaschutz zu erzielen? 

Keineswegs – jeder Beitrag ist notwendig, und jeder Sektor muss Verantwortung übernehmen. Denken Sie zum Beispiel an die Landwirtschaft: Wenn wir ändern, was wir essen und wie wir unsere Nahrungsmittel anbauen, ernten und verpacken, reduzieren wir den Ausstoß von Methan erheblich. Können wir eine regenerative Landwirtschaft betreiben und umweltfreundlichere oder recyclingfähige Verpackungsmaterialien verwenden? Es gibt so viele Dinge, die Unternehmen tun können – und letztlich jeder Einzelne, indem die richtigen Entscheidungen getroffen und Maßnahmen ergriffen werden, sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privaten.

 

Frau Touchon und Herr Nessbach sitzen sich an einem Schreibtisch während des Interwiews gegenüber

Chief Impact Officer Valérie Touchon im Gespräch mit KHScompetence-Redakteur Stuart J. Nessbach in der EcoVadis-Zentrale im Zentrum von Paris.

Welche Auswirkungen hat die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltig­keits­berichterstattung von Unternehmen (CSRD), durch die sich die Zahl der berichterstattenden Unternehmen bis 2026 voraussichtlich vervierfachen wird, auf Ihr Geschäftsmodell?

Genaugenommen gibt es zwei Verordnungen, von denen wir sehr profitieren. Die eine bezieht sich auf die Sorgfaltspflicht in den Lieferketten. Das wirkt sich unmittelbar auf unser Geschäft aus, indem Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre Partner auf ESG-Aspekte hin zu analysieren, um Transparenz in der Wert­schöpfungskette zu schaffen. Der zweite Punkt, die von Ihnen erwähnte CSRD, schreibt explizit vor, was Unternehmen abhängig von ihrer Größe offenlegen müssen. Diese beiden Gesetze erweitern die Zahl auskunftspflichtiger Unternehmen erheblich. Das ist ebenso gut für uns wie für unsere Wettbewerber.

 

Wo sehen Sie EcoVadis in 10 bis 15 Jahren, wenn mehr und mehr Unternehmen Netto-Null erreicht haben werden?

Nachhaltigkeit ist nicht auf Compliance beschränkt. Es ist eine Reise, und ich glaube nicht, dass wir in 10 bis 15 Jahren das Problem des Klimawandels lösen werden. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass wir kürzlich eine sehr interessante Diskussion mit Chefeinkäufern einiger unserer größten Kunden hatten. Sie drängen ihre Zulieferer dazu, ihre Treibhausgasemissionen offenzulegen und Reduktionsziele festzulegen, obwohl sie davon überzeugt sind, dass ihre Anstrengungen nur dann Erfolg hätten, wenn sie ihre Lieferanten dazu bringen könnten, ihren Mitarbeitern existenzsichernde Löhne zu zahlen. Schließlich könne man sein Konsumverhalten und seinen CO2-Fußabdruck nicht ändern, wenn man nicht genug Geld habe. Ich fand das außerordentlich vorausschauend und klug, aber auch mutig. Denn wenn sie von ihren Lieferanten verlangen, Löhne und Gehälter zu erhöhen, werden sie schließlich einen höheren Preis für deren Waren und Dienstleistungen bezahlen müssen. 

Bei ESG geht es also nicht nur darum, dass CO2 eine tödliche Belastung für die Menschheit darstellt. Denken sie an die sozialen Aspekte des Klimawandels: Menschen ziehen von einem Ort zum anderen, bekommen Krankheiten – alles hängt mit allem zusammen. Ich gehe davon aus, dass es uns so lange geben wird, wie die Welt existiert.

„Mich stimmt verhalten op­ti­mistisch, dass man den Wandel nicht aufhalten kann, wenn er einmal begonnen hat.“

Valérie Touchon

Chief Impact Officer, EcoVadis

Haben Sie persönlich trotz allem noch Hoffnung für unser Klima? 

Ich habe den Bericht des Weltklimarats IPCC gelesen und ich bin zwar besorgt, aber auch hoffnungsvoll. Indem wir Veränderungen zum Besseren erfassen, sehen wir, dass Dinge in Bewegung sind – allerdings nicht schnell genug, so viel steht fest. Dennoch stimmt mich verhalten optimistisch, dass man den Wandel nicht aufhalten kann, wenn er einmal begonnen hat.

 

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich, und wie hat sich Ihr Verhalten in dieser Hinsicht in den letzten 15 Jahren verändert?

Ich stamme aus der Generation, in der man verarbeitete Lebensmittel und Fleisch gegessen hat und bedenkenlos von A nach B geflogen ist. Seitdem ist viel passiert: Ich habe drei Kinder bekommen, die heute 28, 26 und 23 Jahre alt sind. Alle drei sind echte Aktivisten, die meine Sichtweise auf gewisse Dinge verändert haben. Und ich bin vor 16 Jahren zu EcoVadis gekommen, wo ich vieles gelernt habe, worüber ich mir vorher nicht im Klaren war. Hier habe ich im Lauf der Jahre mit Hunderten von Kunden gesprochen und natürlich mit den Menschen hier im Unternehmen. Viele sind im selben Alter wie meine Kinder und genauso leidenschaftlich und engagiert in allem, was sie tun. Das inspiriert mich jeden Tag aufs Neue, mich weiterzuentwickeln.

1. ¹ Konfliktmineralien = Erze von Zinn, Tantal und Wolfram sowie Gold, die in Entwicklungsländern häufig im Kleinbergbau unter problematischen Bedingungen gefördert werden.

2. ² ISO 26000 = Leitfaden, der Organisationen dabei unterstützt, sich sozial verantwortliche Prinzipien zu geben.

3. ³ GRI-Richtlinien = Eine gemeinsame Sprache für Organisationen, um deren ökonomische, ökologische und soziale Auswirkungen kommunizieren zu können.

4. ⁴ ILO-Normen = Internationale Arbeits- und Sozialstandards in Form von Empfehlungen für Arbeitsrecht, Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz etc.

5. ⁵ ESG = Environmental, Social and Corporate Governance – ein Steuerungsinstrument für die Finanzwirtschaft in der EU zur Bewertung nachhaltiger Investitionen hinsichtlich der Berücksichtigung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen durch Unternehmen und andere Körperschaften.