Mit vereinten Kräften
Im Bestreben, der Getränkeindustrie möglichst alles aus einer Hand zu bieten, kommt es unter den Maschinenbauern spätestens ab den Achtzigerjahren zu zahlreichen Zusammenschlüssen und Übernahmen. In deren Verlauf entsteht auch die heutige KHS.
Schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts zeigt sich eine beginnende Konzentrationswelle in der Getränkemaschinenproduktion: 1966 übernehmen die Enzinger-Union-Werke in Mannheim den Mindener Maschinenhersteller Noll. Nur drei Jahre später vereinbart das gewachsene Unternehmen unter dem Motto „gemeinsam stärker“ eine weitreichende Kooperation mit den Seitz-Werken in Bad Kreuznach. Bereits diese ersten Schritte orientieren sich am Bedürfnis der Kunden, möglichst alles aus einer Hand zu beziehen. 1977 erwerben die Duisburger Klöckner-Werke, das viertgrößte Stahlunternehmen Deutschlands, ein Viertel der Anteile an Holstein & Kappert in Dortmund, nur um zwei Jahre später Mehrheitsaktionär zu werden und einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zu schließen.
Neue Ertragsquellen
Ursächlich für das Engagement der Klöckner-Werke, die sich in den Sechzigerjahren mit der Kunststoffverarbeitung und Folienherstellung durch Klöckner Pentaplast in Montabaur bereits einem ganz neuen Geschäftsfeld zugewandt haben, ist die heraufziehende Stahlkrise: Diversifikation ist das Gebot der Stunde, und die Lenker des Montankonzerns haben erkannt, welches Wachstumspotenzial in der Herstellung von Maschinen für die weltweite Getränkeindustrie liegt. Als 1982 die Enzinger-Union-Werke und die Seitz-Werke nun auch ganz offiziell zur Seitz Enzinger Noll Maschinenbau AG (SEN) verschmelzen und für H&K zum mächtigen Konkurrenten zusammenwachsen, sind die KlöcknerWerke erneut zur Stelle: Der Duisburger Konzern erwirbt 24 Prozent des Aktienkapitals von SEN sowie eine Option auf weitere 26 Prozent, die zunächst treuhänderisch von einer Bank verwaltet wird. Wenig später ist klar: Klöckner strebt einen Zusammenschluss der bisherigen Wettbewerber H&K und SEN an. Als 1984 das Bundeskartellamt den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an SEN untersagt, beantragen die Klöckner-Werke im Bonner Bundeswirtschaftsministerium eine Ministergenehmigung.
Zwischenzeitlich macht sich die Exportflaute auch im deutschen Maschinenbau bemerkbar: Zwischen 1983 und 1985 werden zum Beispiel bei H&K in Dortmund 500 Arbeitsplätze abgebaut. Um die Wettbewerbsfähigkeit und das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens sicherzustellen, wird die Fusion wichtiger, und Klöckner unternimmt alles, damit sie zustande kommt: Der Verpackungssektor wird in eine eigene Gesellschaft, die H&K Verpackungstechnik GmbH, ausgegliedert, und die Tochterfirma Rosista, die im Zweigwerk Unna Ventile herstellt, wird zu vier Fünfteln an die britische APV-Gruppe verkauft, die seinerzeit mit rund 14.000 Mitarbeitern etwa 1,5 Milliarden Euro umsetzte. Mit den Briten war Holstein & Kappert bereits Ende der Zwanzigerjahre eine langjährige Kooperation über die Lizenzfertigung und den Vertrieb von Plattenwärmetauschern auf dem deutschen Markt eingegangen.
1986 genehmigt das Bundeskartellamt die Fusion von H&K und SEN. Wenig später gibt Klöckner bekannt, dass es nun Mehrheitseigner von SEN ist – auch ohne Ministererlaubnis, deren Beantragung Klöckner in der Zwischenzeit zurückgezogen hat. Im darauffolgenden Jahr wird H&K in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Hauptversammlung von SEN stimmt dem Verschmelzungsvertrag mit großer Mehrheit zu – einige Aktionäre jedoch, die sich möglicherweise einen höheren Erlös aus der Transaktion versprochen hatten, erheben Klage gegen den Beschluss und verhindern für Jahre, dass die Fusion tatsächlich erfolgen kann.
Die Marke KHS
Von 1966 bis 2015 erst bei Holstein & Kappert beschäftigt, dann bei KHS, seit 1991 als Leiter Unternehmenskommunikation – mit einer dreijährigen Unterbrechung beim Hauptwettbewerber: Kommunikations-Urgestein Manfred Rückstein, heute 68 Jahre alt, erinnert sich an bewegte Jahre.
Wie kam der Name KHS für den Zusammenschluss zustande?
Das war eine Erfindung des Aufsichtsrats aus den Initialen der Konzernmutter und der beiden Partner. Weil die Bezeichnung KHS allein markenrechtlich nicht schutzfähig war, mussten wir eine Wort-Bild-Marke entwickeln. Aus ersten Ideen mit einem stilisierten Pfeil, der in einen Kasten zeigt, ist dann das heute noch aktuelle Logo entstanden.
Was war die größte kommunikative Herausforderung?
Wir mussten den Kunden, die jahrzehntelang entweder der einen oder der anderen Marke die Treue gehalten hatten, klarmachen, dass die Produkte aus Bad Kreuznach, Worms und Dortmund jetzt alle gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Und den Mitarbeitern musste vermittelt werden, dass wir nicht alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen, sondern dass hier ein ganz neues Unternehmen entstanden war, das weiter nach vorne kommen wollte.
Wie lange hat es gebraucht, bis sich eine neue Identität gebildet hatte?
Die Umsetzung hat ein paar Jahre gedauert – und dauert teilweise noch an. Sie sehen das zum Beispiel in Bad Kreuznach, wo mancher sich heute noch als Seitzianer versteht, oder in Kleve mit den Kisteranern. Für neue Mitarbeiter ist das kein Thema – die kennen ja nur KHS.
Wie wurde die neue Marke im Markt aufgenommen?
Den ersten großen Auftritt als KHS hatten wir 1993 auf der drinktec-interbrau in München. Wir ließen die Standbesatzung von über 300 Personen in leuchtend blauen Sakkos und roten Krawatten beziehungsweise in roten Röcken und blauen Blusen antreten – also in unseren neuen Hausfarben. Das tat vielen modebewussten Herren so weh, dass sie bei der Abfrage der Kleidergröße bewusst falsche Angaben machten, um der „bunten Uniform“ zu entgehen. Aber wir verfügten über Reserve-Jacketts, konnten einen Teil des Problems durch Ringtausch lösen und haben schnell noch 20 Sakkos aus dem eigens eingefärbten Stoff nachschneidern lassen. Das Ergebnis war ein echter Hingucker, der deutlich machte, dass hier ein Unternehmen angetreten war. Unsere Kunden mussten nicht lange nach einem Ansprechpartner suchen, und fast jeder Fernsehbericht über die Messe war auf dem Stand von KHS gedreht worden.
Mit welchen weiteren Maßnahmen haben Sie die Fusion begleitet?
Am wichtigsten war die Einführung unserer einheitlichen Produktmarken – gegen den Widerstand mancher alteingesessener Kollegen, die ihre Produkte gerne unter den alten Namen weiterverkauft hätten. Unterstützt hat uns damals ein hochrangiger Markenentwickler. Das Ergebnis war die bis heute gültige und flexibel erweiterbare Nomenklatur mit der Vorsilbe „Inno“ – Innovation war 1993 noch nicht so ein viel genutzter Begriff wie heute.
Abrundung des Angebots
Jenseits aller gesellschaftsrechtlichen Turbulenzen kümmern sich die Betroffenen selbstverständlich auch weiterhin um ihr eigenes Geschäft. Für H&K bedeutet das unter anderem die Gründung der H&K/ETI-TEC in Erkrath im Jahre 1987, deren Mitarbeiter hochqualifizierte und im Markt bekannte Spezialisten im Etikettiermaschinenbau sind. Die Tochtergesellschaft rundet das Angebot der Dortmunder Mutter höchst sinnvoll ab, die jetzt in der Lage ist, den Verpackungen für ihre Kunden auch ein Gesicht zu geben. Eine weitere Tochtergesellschaft, in die spezielle verfahrenstechnische Aufgaben ausgelagert werden, ist die ebenfalls in dieser Zeit gegründete H&K Prozesstechnik GmbH.
Das Ringen um die Fusion geht unterdessen weiter: Die APV-Gruppe hat sich 40 Prozent der Anteile von SEN gesichert und verhandelt mit Klöckner darüber, das Unternehmen ganz zu übernehmen. Deren Vorstandsvorsitzender Herbert Gienow widerspricht im Februar 1989 im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ dem APV-Chairman Sir Ronald Mclntosh, der behauptet hat, eine Verschmelzung gehe zu Lasten der SEN-Belegschaft: „Die bei einer Fusion möglichen Einsparungen von vierzig Millionen D-Mark werden nicht durch Stilllegungen und Personalabbau erreicht, sondern durch eine Vorwärtsstrategie mit der Bildung von Fertigungsschwerpunkten, Produktvereinheitlichung und Erschließung neuer Absatzmärkte“. Gienow verspricht: „Standorte werden nicht gefährdet, sondern gestärkt. Die Belegschaften werden aufgestockt.“ 1988 wirft APV das Handtuch und verkauft seine SEN-Beteiligung an die Klöckner-Werke, die jetzt 90 Prozent an dem Unternehmenszusammenschluss besitzen. Gleichzeitig übernimmt APV für 3,5 Millionen Mark die restlichen 20 Prozent, die H&K noch an der Rosista gehalten hat.
1990 besteht mit der Klöckner Mercator Maschinenbau und SEN ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertag. Auch wenn die juristischen Hindernisse noch nicht abschließend aus dem Weg geräumt sind, nimmt die Verschmelzung von SEN und H&K auf operativer Ebene Gestalt an: Für beide Partner wird ein personen- und ressortidentischer Vorstand eingerichtet, und die Verpackungsmaschinenfertigung beider Gesellschaften wird in der KHS Verpackungstechnik in Worms zusammengeführt.
Einschnitte zum Start
Ende 1992 muss Klöckner aufgrund von Überschuldung beim Amtsgericht Duisburg einen Vergleichsantrag stellen, um die Insolvenz abzuwenden, und begibt sich auf einen Sanierungskurs, der harte Einschnitte vorsieht.
1993 weist der Bundesgerichtshof nach sechsjährigem Rechtsstreit die Anfechtungsklage gegen den Verschmelzungsbeschluss von 1987 ab. Die Fusion von H&K und SEN zur Klöckner Holstein Seitz (KHS) AG wird endlich vollzogen, und dem ersten Auftritt unter gemeinsamer Flagge auf der drinktec-interbrau in München steht nichts mehr im Wege. Die ersten Jahre des jungen Unternehmens beginnen – auch aufgrund der vorausgegangenen schwierigen Phase bei Klöckner – mit umfassendem Stellenabbau: Von insgesamt 3.500 Mitarbeitern in den drei verbliebenen Werken müssen nun doch rund 1.000 das Unternehmen verlassen, 290 Stellen allein am Hauptsitz in Dortmund. Angesichts tiefroter Zahlen werden 1995 KHS Iberica, die Tochter in Spanien, und KHS Carmichael, schottischer Spezialist für Rundumetikettierung, geschlossen.
Das Versprechen, Fertigungsschwerpunkte zu bilden und Produkte zu vereinheitlichen, wird im Zuge der Integration konsequent eingelöst: Boten beide Unternehmen bisher weitgehend ähnliche Sortimente an, müssen jetzt Redundanzen beseitigt werden, damit nicht quasi identische Maschinen an zwei Standorten gebaut werden. So wandert beispielsweise die Füllerfertigung ganz nach Bad Kreuznach, während in Dortmund mit seinen riesigen Hallen und Kränen die Flaschenreinigungsmaschinen und raumgreifenden Tunnelpasteure am besten aufgehoben sind. Auch die Etikettiertechnik kommt nun aus einer Hand aus dem Ruhrgebiet. In den folgenden Jahren steht die Aufstellung eines klar strukturierten und überschneidungsfreien Portfolios im Vordergrund. Ganze Abteilungen der einstigen Erzrivalen müssen sich im Zuge der Verschmelzung neu formieren und ihre Kompetenzen bündeln – eine große Herausforderung, die teilweise von externen Coaches unterstützt wird.
Auf dem Weg zum Komplettanbieter
Klöckner zeigt nun, dass der Konzern es mit seiner Sparte Maschinenbau durchaus ernst meint: Rasant entwickelt sich KHS angesichts zahlreicher Übernahmen immer mehr zu einem Komplettanbieter: 1997 erfolgt der Ankauf des Karlsruher Unternehmens Grässle, eines Spezialisten für Inspektionstechnik. Hier werden sogenannte „Sniffer“ produziert, Massenspektrometer, die durch Luftanalyse ermitteln, womit eine leere PET-Mehrwegflasche zuvor gefüllt war und ob sie für die erneute Befüllung noch geeignet ist. 1999 wird die traditionsreiche Hamburger Firma Anker erworben. Sie baut Etikettiermaschinen für den kleinen und mittleren Leistungsbereich und ergänzt das bestehende KHS-Angebot für den Hochleistungsbereich. Zur Jahrtausendwende wird KHS mit dem Kauf von GEA Till in der Stahlfassreinigung und -abfüllung, der Keg-Technologie tätig.
2003 steigen die Dortmunder mit der Übernahme von Alfill erstmals in das PET-Aseptik-Geschäft ein und bauen mit der Akquisition von Metec ihre inspektionstechnische Kompetenz weiter aus. Höhepunkt dieses Jahres ist zweifelsohne die Integration von Kisters in die KHS. Der Verpackungsmaschinenhersteller aus Kleve – in seinem Bereich der weltweite Marktführer – gehört bereits seit über 10 Jahren mehrheitlich zur Klöckner Mercator Maschinenbau. Als Coup darf auch die Übernahme des Branchenprimus SIG Corpoplast, SIG Plasmax, beide in Hamburg, sowie von SIG Moldtec in Essen und SIG Asbofill in Neuss gelten. Die beiden Hamburger Unternehmen sind führend mit ihrer PET-Streckblas- beziehungsweise -Barrierebeschichtungs-Expertise, der Essener Betrieb im Streckblasformenbau und die Neusser Firma in der aseptischen Abfüllung.
Nach Jahren der Fusionen, des Sortimentsum- und -ausbaus und der Kapazitätsanpassungen ist KHS jetzt als Systemanbieter perfekt ausgestattet, um der Getränkeindustrie Komplettlösungen liefern zu können – eine Anforderung, die der Markt immer häufiger an das Unternehmen stellt.