In den Zwanzigerjahren ist der Vormarsch der Flasche nicht mehr aufzuhalten: Verbraucher verlangen abgefüllte und verpackte Produkte anstelle von loser Ware. Das gilt nicht nur für Kaffee und Butter, Essig oder Öl, sondern in zunehmendem Maß auch für Milch – in manchen Ländern mehr, in anderen weniger ausgeprägt. In Großbritannien etwa ist die Milch-Glasflasche auf der Türschwelle eines jeden Hauses bis weit in die Achtzigerjahre ein fester Bestandteil des Straßenbildes. In Italien wird die Milchversorgung 1929 gesetzlich geregelt – dazu gehört neben der Bildung von Milchsammel- und -verteilstellen auf lokaler und regionaler Ebene auch die hygienische Verpackung in Glasflaschen. In Mailand und Rom entstehen Milchzentralen, die vorbildlich für ganz Europa sind – mit Maschinen aus Dortmund.

Schon 1928 hat Holstein & Kappert bei einer Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft die erste komplette Flaschenmilchanlage präsentiert. Der Schritt in den milchwirtschaftlichen Sektor soll dem Unternehmen während der nächsten fast zwanzig Jahre große Erfolge bescheren. Ein wichtiger Teil der Anlagen sind Milcherhitzer aus massiven bronzeverzinkten Platten, die zunächst aus England bezogen werden. Basierend auf einer Vereinbarung mit der Aluminium Plant and Vessel Company (APV) in London übernimmt H&K die Lizenzfertigung und den Vertrieb von Plattenwärmetauschern auf dem deutschen Markt – ein für beide Seiten gelungener Auftakt für den Verkauf von insgesamt rund 4.000 solcher Apparate im Lauf der nächsten Jahre.

Die historische Anzeige für den Phönix-Füller und -Verschließer aus den Dreißigerjahren illustriert augenfällig, dass die Verpackung von Milch in Glasflaschen unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist.
Die historische Anzeige für den Phönix-Füller und -Verschließer aus den Dreißigerjahren illustriert augenfällig, dass die Verpackung von Milch in Glasflaschen unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist.

Magere Jahre

Anfang der Dreißigerjahre brechen mit der Weltwirtschaftskrise, die Deutschland sieben Millionen Arbeitslose und den Niedergang der Weimarer Republik beschert, auch für H&K schwere Zeiten an: Das Inlandsgeschäft mit Kellereimaschinen, bisher Hauptstandbein des Unternehmens, schrumpft auf einen Anteil von nur noch fünf Prozent des Gesamtumsatzes, und Ende 1930 schreibt man rote Zahlen. Der Gießereibetrieb hält sich mit Aufträgen im Fremdguss über Wasser – meist Gestelle für Werkzeugmaschinen –, und die Maschinenfabrik stellt notgedrungen Papiersack-Klebeautomaten und Kugellagerringe für Fahrzeuganhänger her.

Hilfreich ist in dieser wirtschaftlich angespannten Lage zunächst der hohe Exportanteil, der 1932 einen Rekordanteil von zwei Dritteln erreicht. Bis 1934 reduziert er sich jedoch um die Hälfte, und bei Kriegsbeginn liegt er sogar nur noch bei 10 Prozent. In dieser schwierigen Zeit sind es vor allem die Lieferungen an die Milchwirtschaft, die dem Unternehmen über den Tiefstand hinweghelfen. Insbesondere die von H&K entwickelte „Z-Platte“, eine kostengünstigere Wärmetauschplatte aus nicht rostendem Stahl mit aufvulkanisierten Gummirippen, erweist sich als echter Verkaufserfolg und trägt dazu bei, das Unternehmen vor den schlimmsten Folgen des Niedergangs zu bewahren.

INFO

Drei Fragen an ...

... Thomas Redeker, Sales Director Dairy Europe bei KHS

Wie profitiert KHS heute noch von der lange zurückliegenden H&K-Erfolgsgeschichte rund um die Milcherzeugung?
Dank unserer langjährigen Erfahrung in den Molkereien kennen wir die Anforderungen der Milchindustrie seit Jahrzehnten sehr genau. Diese umfassende Expertise und viele konstruktive Weiterentwicklungen ermöglichen es uns, die Molkereien mit hoher Linien-Effizienz und hygienischer Sicherheit wirkungsvoll dabei zu unterstützen, hochwertige Spitzenprodukte herzustellen und abzufüllen.

Welche technologischen Lösungen bietet KHS der Milchwirtschaft heute?
Heute bieten wir Einzelaggregate, komplette Linien oder Blocklösungen für alle Leistungsstufen an – von der Produkt- und Flaschenherstellung über die Abfüllung bis hin zur Verpackung. Mit unserem neuen Baukastensystem konfigurieren wir passend für jede Molkerei hygienisch sichere und wirtschaftliche Füller – für UCF, ESL oder Aseptik, ob linear oder rotativ, ob mit Preform- oder Flaschensterilisation. Und damit die Milch am PoS eine gute Figur macht, gibt es unsere Etikettiertechnik und die Innopack-Verpackungsmaschinen für jedes Format von Single-Serve bis zum Familieneinkauf.

Was ist Ihre Vision für die Milchverpackung der Zukunft?
PET wird weiter wachsen – die Milchindustrie schätzt die einfache Verarbeitung und die Möglichkeiten der Formenvielfalt und Exklusivität, der Verbraucher die Unzerbrechlichkeit des Materials, die angenehme Haptik und die einfache Verschließbarkeit. In Deutschland ist die Flasche, die zu 100 Prozent aus recyceltem PET besteht, keine Zukunftsmusik – sie gibt es bereits auf dem Markt. Ich bin sicher, dass die Milchflasche der Zukunft eine Bio-PET-Flasche aus nachwachsenden Rohstoffen ist.

Lukratives Geschäft

Der Verkauf von Molkereimaschinen hat sich längst zur „Cash-Cow“ für H&K entwickelt und verschafft den Dortmundern den finanziellen Spielraum für konstruktive Weiterentwicklungen. Dazu zählen etwa Kannenwaschmaschinen, die für die behördlich vorgeschriebene Reinigung und Sterilisation von Milchkannen verwendet werden – von ihnen werden zeitweise sechs Exemplare pro Monat gebaut. Weitere Beispiele sind Bandautomaten, auf denen Aluminiumkappen hergestellt und die Milchflaschen zugleich damit verschlossen werden, oder Schnecken- und Kreiselpumpen.

1936 erzielt H&K dann einen großen Fortschritt in diesem Bereich, der in Deutschland für eine regelrechte Revolution auf dem Gebiet der Milcherhitzung sorgt: Die Konstruktion einer Wärmeaustauschplatte, die aus zwei vorgeformten Edelstahlblechen besteht. Diese müssen in einem Spezial-Schweißverfahren verzugsfrei zu einer Einheit verbunden werden, eine komplexe Herausforderung, die nach vielen Versuchen erst in Kooperation mit Krupp gelingt, dem Erfinder des nicht rostenden Stahls. Das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand: Innerhalb kürzester Zeit ersetzt die so getaufte „Supra-Platte“ den größten Teil der bisher in Molkereien verwendeten Rührwerkserhitzer, und die Dortmunder verfügen mit ihrem Plattenapparat über ein neues Spezialprodukt.

Auch für Bier interessant

Auch Brauereien beginnen sich nun für die Plattenapparate zu interessieren: Die Konstrukteure haben die Herausforderung gemeistert, den Druck des Bieres während des gesamten Prozesses über der CO₂-Entbindungskurve zu halten, damit das Bier stabil bleibt und keine Trübungen entwickelt. Erste Erfolge gibt es auch bei der Heißabfüllung von Malzbier, zunächst jedoch nur in Stahlfässer.

Ende der Dreißigerjahre projektiert und erstellt H&K ganze Molkereineubauten. Der Umsatz mit der Milchwirtschaft ist inzwischen genauso groß wie der auf dem Brauereisektor. Dabei hilft, dass die „Supra-Platten“ von den Behörden des Dritten Reiches als so wichtig für die Volksernährung anerkannt wurden, dass ihre Produktion während des Zweiten Weltkriegs nicht eingestellt werden musste. In den ersten Nachkriegsjahren wird die Milchwirtschaft behördlich gefördert, um die ausgehungerte Bevölkerung zu ernähren. H&K produziert Maschinen für die lebenswichtigen Molkereibetriebe und stellt Neuentwicklungen zunächst zurück.

1953 kommt es zur Ablösung der „Supra-Platte“, als APV eine qualitativ und preislich überlegene Einblech-Plattenkonstruktion in den Markt einführt. Erneut schließen die Dortmunder einen Vertretungs- und Lizenzvertrag mit den Briten ab, der sich als ebenso lukrativ erweisen wird wie die erste Vereinbarung.

Kurz vor Kriegsende ist der Molkereimaschinenbetrieb nach Ostdeutschland evakuiert worden. Zunächst werden hier die Aktivitäten unter dem Namen H&K weitergeführt, können jedoch ab 1962 aufgrund der deutschen Teilung nicht mehr durch das Dortmunder Stammhaus gesteuert werden.