Wenn Detlef Prellberg abends sein Büro in Kunshan im Großraum Shanghai verlässt, gehen seine deutschen Kollegen gerade in die Mittagspause. Wie bei global tätigen Unternehmen üblich, ist seine tägliche Routine davon geprägt, um welche Uhrzeit er mit der Zentrale kommunizieren kann. Morgens bearbeitet er also die in der Nacht eingegangenen E-Mails, bevor er sich mit seinen Mitarbeitern vor Ort abstimmt. Dabei geht es meist um Fragen der lokalen Produktion und deren Steuerung, für die er als Werksleiter verantwortlich ist. Der Nachmittag ist dann für Gespräche mit Konstruktion, Fertigung und Qualitätssicherung in Deutschland reserviert: Dabei stehen vor allem Themen wie die Lokalisierung auf dem Programm.

Seit fünf Jahren lebt er nun in China. Erstmals hat er das Land 2005 bereist, als er für SIG Corpoplast und später für KHS mit dem Aufbau einer Einkaufsplattform begann. In Anbetracht der Tatsache, dass heute jährlich rund sieben Millionen Exportteile nach Deutschland gehen, macht deren Qualitätssicherung einen wichtigen Teil seiner Arbeit aus. Bereits seit einigen Jahren erfolgt im KHS-Werk in China zudem das Schweißen von Plattformen und anderen Großteilen für das KHS-Kompetenzzentrum PET in Hamburg. Aktuell ist Prellberg damit beschäftigt, mit seinem Team die lokale Fertigung von DRV-Füllern für Softdrinks zu implementieren. Bisher wird vor allem der sogenannte Aquablock hier hergestellt, eine von KHS speziell für den asiatischen Markt konfigurierte Blocklösung für das Wassersegment. Darüber hinaus bauen die Techniker vor Ort seit 2020 Streckblasmaschinen der neusten Generation InnoPET Blomax Serie V.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, die wachsende Nachfrage im heimischen Markt zu bedienen, ist das neue Werk in Kunshan, wo das Unternehmen über eine viermal größere Fertigungsfläche verfügt als bisher. Der Umzug ist im November 2021 erfolgt. „Diese Kapazitäten möglichst schnell auszuschöpfen, stellt natürlich hohe Anforderungen speziell an den Vertrieb“, sagt Prellberg. Andererseits, betont er, benötigten der Technologietransfer und die Übertragung von Montage-Know-how rund um die komplexen Highspeed-Maschinen jedoch Zeit. Die Pandemie hilft da nicht: „Seit über zwei Jahren sind wir auf Online-Schulungen angewiesen, weil aufgrund von Covid-19 keine Techniker mehr nach China reisen können“, erklärt der Werksleiter. Abgesehen davon, dass es kaum Flüge gibt, hat die Volksrepublik eine Null-Toleranz-Coronapolitik verhängt, zu deren strengen Einreisebestimmungen eine vierwöchige Quarantäne gehört. „Momentan teilt sich diese in jeweils zwei Wochen Hotel und häusliche Quarantäne auf. Während der vier Wochen besteht keinerlei Möglichkeit, die Räumlichkeiten zu verlassen.“

»Wenn das Reisen dieses Jahr einfacher wird, können wir uns alle wieder in die Arme schließen.«

Detlef Prellberg

KHS-Werksleiter in China

 

Vorfreude aufs Wiedersehen

Um diese Prozedur zu vermeiden, hat Prellberg selbst das Land seit über zwei Jahren nicht mehr verlassen. Natürlich vermissen er und seine Frau die zwei in Deutschland zurückgelassenen erwachsenen Kinder sowie die betagten Eltern. Ein weiterer Sohn, 15 Jahre alt, ist mit ihnen in China und besucht hier eine internationale Schule. Die ganze Familie freut sich auf ein gesundes Wiedersehen: „Wenn alles gut geht, wird das Reisen im Lauf dieses Jahres wieder deutlich einfacher, und dann können wir uns hoffentlich alle wieder in die Arme schließen.“ Einstweilen behilft er sich mit Videokonferenzen – privat genauso wie geschäftlich.

Neben diesen Nachteilen sieht Prellberg in der restriktiven Vorgehensweise der Regierung den Vorteil, dass es tatsächlich fast keine Covid-19-Fälle mehr gibt. Ermöglicht habe das vor allem die Einführung des Gesundheitscodes, der praktisch überall vom Handy gescannt werde. „Dadurch ist das öffentliche Leben innerhalb des Landes praktisch nicht mehr eingeschränkt.“

Nicht viele der in China lebenden und arbeitenden Ausländer verfügen über das gleiche Durchhaltevermögen wie Prellberg: „Zahlreiche dieser Expats verlassen derzeit das Land“, erklärt er. „Neben der Coronasituation ist dafür unter anderem die Wirtschaftspolitik verantwortlich. China hat sich rasant weiterentwickelt und setzt zunehmend auf eigene Technologie und heimische Fachkräfte.“ Zudem hätten gerade Deutsche häufig ein Problem damit, eine Kultur anzunehmen, die sich – wie in China – von der eigenen so fundamental unterscheide, hat Prellberg beobachtet. Er selbst schreibt es seiner Herkunft aus dem weltoffenen Hamburg zu, dass er sich so leidenschaftlich und mit großem Interesse für andere Länder begeistern kann.

Aufgeschlossen und hilfsbereit

Da verwundert es wenig, dass er und seine Familie auch privat den Kontakt zu Einheimischen suchen, zum Beispiel, indem sie im chinesischen Compound wohnen: „Warum sollte ich sonst in ein asiatisches Land gehen, wenn ich mich vor Ort nur innerhalb der ,deutschen Kolonie‘ bewege?“ Er selbst erlebt die Chinesen als sehr freundliche, aufgeschlossene und hilfsbereite Menschen. Wie respektvoll man miteinander umgehe, werde zum Beispiel beim Autofahren deutlich. In den riesigen Metropolen sei der Straßenverkehr zwar oft chaotisch, aber weitgehend folgenlos: „Ich wundere mich immer, wie wenig Unfälle passieren“, sagt Prellberg. „Das liegt sicher daran, dass die Menschen hier weniger auf ihrem Recht beharren als bei uns.“

Im Job macht sich die andere Mentalität ebenfalls bemerkbar: In einer stark von Hierarchien geprägten Kultur ist es eine besondere Herausforderung, Mitarbeiter zu führen und zu motivieren: „Einen kooperativen Führungsstil und das Hinterfragen von Prozessen oder Strukturen sind unsere chinesischen Kollegen nicht gewohnt. Umgekehrt wollen wir als Deutsche jedoch gerne reflektiert werden, selbst wenn das mitunter Widerspruch bedeutet. Es ist daher wichtig, Beziehungen herzustellen und Vertrauen aufzubauen“, erklärt Prellberg. Hilfreich seien dabei soziale Aktivitäten. Insbesondere das gemeinsame und gute Essen sei im Reich der Mitte enorm wichtig. Das will auch der Gast aus Hamburg nicht mehr missen: „Ich schätze an der chinesischen Küche vor allem die ungeheure Vielfalt, die schon darin zum Ausdruck kommt, dass man nicht nur vor einem einzigen Teller sitzt.“ Da verzichtet er gerne auf heimischen Käse, Quark oder Schwarzbrot.

Die Sprache des Gastlandes spricht Detlef Prellberg zu seinem Bedauern allerdings nicht: Unternehmenssprache ist Englisch, und wie die allermeisten jungen Chinesen kommunizieren sämtliche der rund 50 Mitarbeiter in Kunshan sehr gut darin. „Chinesisch ist eine viel komplexere Sprache als die meisten anderen“, sagt er. Aber immerhin: „Meine Frau kann sich inzwischen im Alltag gut mitteilen. Sie arbeitet seit dreieinhalb Jahren intensiv daran, die Sprache zu erlernen. Mir fehlt dafür leider die Zeit.“