Ausgerechnet
Seit vielen Jahren schon entwickelt KHS neue Technologien, um den Energie- und Ressourcenverbrauch in der Getränkeindustrie kontinuierlich zu senken. Welche Auswirkungen das auf den CO₂-Fußabdruck der Abfüller hat, lässt sich jetzt anhand von eigens entwickelten Berechnungstools beziffern.
Begonnen hat alles mit Dennis Jacobi, der als Service Sales Manager am KHS-Standort Hamburg für Umbauten an Streckblasmaschinen zuständig ist. Der heute 41-Jährige sagt, dass er sich eigentlich schon immer Gedanken um das Klima gemacht habe. „Gefühlt höre ich seit 35 Jahren, dass es Ozonlöcher gibt und sich die Erde aufgrund von Umwelteinflüssen erwärmt“, stellt er fest. „Genauso lange wird darüber gesprochen, dass man dagegen etwas unternehmen muss.“
Sein Job erlaubt es ihm, Getränkehersteller dabei zu unterstützen, einen sinnvollen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten: Durch Ofenumbauten und die Rückgewinnung von Druckluft im Streckblasprozess wird in der Flaschenproduktion Energie eingespart und damit der CO2-Fußabdruck deutlich verringert. Bei den Öfen geht es vor allem um die Heizenergie, die benötigt wird, um die Preforms vor dem Streckblasvorgang zu erwärmen. „Je nach Maschinengeneration und -ausstattung erzielen unsere Umbauten in der Heizung Energieeinsparungen bis zu 45 Prozent“, erklärt Jacobi. Zu einer weiteren Senkung des Energieverbrauchs führt das Luftrecycling: „Die für den Streckblasvorgang erforderliche Druckluft wird durch einen Kompressor erzeugt und nach Gebrauch üblicherweise durch ein Ventil in die Halle entlüftet. Damit ist sie verloren. Ein Upgrade mit unserer AirbackPlus-Technologie führt diese Luft hingegen in einer Ringleitung zurück und nutzt sie für die Ausformung des nächsten Behälters. Damit hat der Kompressor weniger zu tun, sodass sich die hier benötigte Strommenge um bis zu 40 Prozent verringert.“
»Schon lange beschäftigt mich die Frage, wie unsere Umbaumaßnahmen sich ganz konkret in der CO₂-Bilanz von Getränkeabfüllern niederschlagen.«
Service Sales Manager, KHS
CO2-Bilanz von Umbauten
Wie diese Art der Umbauten, die KHS schon seit 10 Jahren im Programm hat, sich ganz konkret auf die CO2-Bilanz des Getränkeabfüllers auswirkt, hat ihn lange beschäftigt – schließlich wird auch für die Maßnahme selbst Strom verbraucht, der noch nicht überall aus regenerativen Quellen bezogen wird. „Neue Heizkästen oder Lampen müssen schließlich irgendwie hergestellt werden“, sagt Jacobi. „Dann werden sie um die Welt transportiert und häufig muss sich ein Techniker ins Flugzeug setzen, um die Teile vor Ort einzubauen – das alles belastet ja unser Klima. Wir konnten zwar genau berechnen, um wie viele Kilowattstunden sich der jährliche Stromverbrauch durch den Umbau reduziert. Aber wie viel CO2 letztlich eingespart wird und wie nachhaltig das im Ergebnis tatsächlich ist, haben wir bisher nicht gewusst, weil wir es nicht in Relation zum CO2-Aufwand selbst setzen konnten, der durch die Maßnahme entsteht.“
Als er seine Gedanken 2018 im privaten Gespräch mit einem früheren Schulkameraden teilt, sagt der ihm, dass er beruflich darauf spezialisiert sei, Klimabilanzen zu kalkulieren. Schließlich arbeitet er beim ifu Hamburg (Institut für Umweltinformatik), einem unabhängigen, weltweit führenden Softwareentwickler für Stoff- und Energieflussanalysen. Schnell ist die Idee geboren, einen CO2-Rechner zu programmieren, der es Jacobi und seinen Kollegen erlaubt, den Effekt der KHS-Umbauten auf den CO2-Fußabdruck ihrer Kunden so genau wie möglich zu berechnen. Die Umsetzung lässt nicht lange auf sich warten: Die fertige Lösung ist im Prinzip ein einfaches Excel-Tool, in dem Daten hinterlegt sind und in dessen Eingabemasken im ersten Schritt sämtliche Parameter erfasst werden, die das Klima belasten. Dazu zählen z. B. das für den Umbau eingesetzte Material, die Verpackung, der Transport und die Entfernung, die der Techniker zurücklegen muss. Das Tool berechnet daraufhin, wie viel CO2 für die Maßnahme „ausgegeben“ wird. Im zweiten Schritt wird in den Rechner eingegeben, wie viele Kilowattstunden durch den Umbau gespart werden, wo sich der Kunde geografisch befindet und welche Art von Strom er nutzt beziehungsweise selbst produziert. Beides zusammengefasst zeigt, wie lange es dauert, bis das für ein Upgrade aufgewendete CO2 wieder eingespart ist. „Quasi das Eco-Return-on-Invest“, so Jacobi. „Das Erfreuliche ist, dass unsere Umbauten sich durch die enorme Energieeinsparung meistens innerhalb von nur Tagen oder Wochen eco-amortisieren.“ Natürlich seien zwar für viele Kunden in Hinblick auf steigender Energiepreise vor allem die Kostenvorteile relevant. „Angesichts der zunehmenden Regulierung, die CO2-Einsparungen zum Beispiel mit Steuervorteilen oder Fördergeldern belohnt, und einer wachsenden Zahl an Unternehmen, die sich selbst zu ehrgeizigen Klimazielen verpflichtet haben, wird auch der Umweltaspekt immer relevanter“, beobachtet Jacobi.
»Unser CO₂-Rechner zeigt beispielsweise, dass sich PET bei Milch und Milchmixgetränken oder für Kosmetik und Haushalt als Alternative zu HDPE anbietet.«
Product Manager Bottles & Shapes, KHS
Das stellt auch Arne Wiese fest, der als Product Manager Bottles & Shapes KHS-Kunden rund um die Themen Behälterdesign und -herstellung berät: „Viele Getränkehersteller wollen CO2-neutral werden und fragen uns, welche Verpackung den geringsten Fußabdruck hat“, sagt er. „Früher konnten wir pauschal sagen, dass Einwegflaschen aus Glas die schlechteste Variante sind: Um das Material aufzuschmelzen, werden Temperaturen von bis zu 1.600 Grad Celsius benötigt. Damals hat man dafür Erdgas genutzt, heute aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit Öl, was die Ökobilanz noch weiter verschlechtert. Dem stehen Mehrwegflaschen aus Glas gegenüber, die bei kurzen Transportwegen sinnvoll sind, jedoch immer noch schlechter abschneiden als PET-Mehrwegflaschen. Diese verzeichnen zwar geringere Umläufe, punkten aber dank ihrem geringeren Gewicht und den erheblich niedrigeren Temperaturen, die für Herstellung und Recycling gebraucht werden, mit einem viel kleineren CO2-Fußabdruck.“
Primärverpackungen im Vergleich
Um diese – und viele weitere – Vorteile in Zahlen auszudrücken und Getränkeabfüllern bei ihrer Entscheidungsfindung hinsichtlich möglichst klimafreundlicher Verpackung zu helfen, wird der CO2-Rechner für Umbauten in Zusammenarbeit mit dem ifu Hamburg weiterentwickelt. In der neuen Variante lassen sich verschiedene Primärverpackungen wie PET-Flaschen aus recyceltem oder virginem Material, Glasflaschen, Getränkedosen, HDPE-Behälter und Kartonverpackungen hinsichtlich ihres Umwelteinflusses miteinander vergleichen. Dabei fließen neben dem Material die Region, das Gewicht, die Transportwege sowie die Anzahl der Umläufe in die Bewertung ein. Zudem berücksichtigt der Rechner den Wasser- und Chemikalienverbrauch bei der Reinigung sowie am Ende des Lebenszyklus die Art der Entsorgung. Für jeden Bereich gesondert sowie aufsummiert werden die Treibhausgasemissionen als CO2-Äquivalente ausgewiesen und geben Auskunft darüber, welcher Behältertyp über seine gesamte Lebensdauer die günstigste Ökobilanz aufweist.
„Mit unserem Primärverpackungs-CO2-Rechner punkten wir vor allem dort, wo sich PET als Alternative zu HDPE anbietet“, erklärt Wiese. „In den Bereichen Milch und Milchmixgetränke, Kosmetik und Haushalt etwa lassen sich immer mehr ökologisch ausgerichtete Kunden davon überzeugen, dass PET-Behälter die umweltfreundlichere Alternative darstellen.“ Zwar mögen die Daten aufgrund der Vielzahl an Unwägbarkeiten nicht 100 Prozent exakt sein. Auf jeden Fall geben sie aber eine zuverlässige Orientierung und stoßen Veränderungsprozesse an, die zu klimaschonenderen Verpackungen führen.
»Wir stoßen auf sehr positive Resonanz im Markt. Bisher scheint niemand mit ähnlich genauen und umfassenden Daten zu kalkulieren wie KHS.«
Process Engineer Adhesives, KHS
Am KHS-Standort Kleve, wo Maschinen für Sekundärverpackungen entwickelt und gebaut werden, interessiert man sich zwischenzeitlich ebenfalls für den Kalkulator. Für dessen erneute Weiterentwicklung stellt man ifu Hamburg die Parameter zu allen denkbaren Verpackungen des gesamten Portfolios zur Verfügung, um deren Global Warming Potential (GWP) nach DIN / ISO 14067* berechnen zu können. „Dafür haben wir zum Beispiel an den verschiedenen Maschinen die jeweiligen Strom-, Gas-, Druckluft- und Schmierölverbräuche gemessen“, erklärt Andre Fortkord, der das Projekt als Process Engineer Adhesives betreut. „Die von uns bereitgestellten Verbrauchsdaten hat ifu mit den in der ecoinvent-Datenbank hinterlegten Materialdaten zu Folien, Wellpappen und Klebstoffen sowie den in der EU geltenden Durchschnittswerten für Transportwege kombiniert, um das GWP für jedes einzelne Pack ermitteln zu können.“ So lässt sich beispielsweise anhand der Auswahlmöglichkeiten der Eingabemaske und der manuell einzutragenden Mengenangaben schnell errechnen, dass – abhängig von verschiedenen Parametern – ein auf einem Tray abgestelltes Folienpack mit 0,11 Kilogramm CO2-Äquivalent zu Buche schlägt, während ein Tray Paper Pack es lediglich auf 0,085 Kilogramm bringt.
* DIN / ISO 14067: „Treibhausgase – Carbon Footprint von Produkten – Anforderungen an und Leitlinien für Quantifizierung“
Positives Feedback
Seit mehreren Monaten ist der CO2-Rechner für Sekundärverpackungen nun ebenfalls im Einsatz. „Das Instrument stößt auf sehr positive Resonanz bei unseren Kunden“, freut sich Fortkord und sieht KHS in einer Vorreiterrolle. Um auch künftig aussagekräftige und aktuelle Ergebnisse liefern zu können, sollen die hinterlegten Daten turnusmäßig aktualisiert werden. Und mit wachsendem Bedarf soll der im Tool bisher abgebildete europäische Energiemix sukzessive für Afrika, Asien und Amerika angepasst werden.
Zurück in Hamburg ist Dennis Jacobi derweil froh, dass sein Beispiel im Unternehmen Schule macht: „Für jemanden, der in der Verpackungsbranche arbeitet, ist es toll, wenn man in puncto Klimaschutz etwas bewegen kann“, findet er. „Es motiviert mich, dazu beitragen zu können, die Produktion umweltfreundlicher zu machen. Und irgendwie bin ich das meinen zwei kleinen Söhnen schuldig, denen ich gerne eine Welt hinterlassen möchte, die noch Spaß macht.“