Leuchtendes Vorbild
„Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“. Diese These des französischen Schriftstellers Victor Hugo macht sich Mitgründerin Iris Braun zu eigen, um den Erfolg ihres Berliner Start-ups share zu erklären, das soziale Produkte in Supermärkte und Drogerien bringt.
Wie sind Sie auf das Konzept von share gekommen?
Mein Mitgründer Sebastian Stricker hat die App ShareTheMeal entwickelt, mit der man auf seinem Handy eine Mahlzeit spenden kann und sieht, wohin diese geht. Inzwischen ist ShareTheMeal mit einer Million Nutzern die weltweit größte Spenden-App und wird von den Vereinten Nationen weitergeführt – ein Riesenerfolg. Eine Erkenntnis aus dem Projekt war jedoch, wie schwierig es ist, Menschen zu motivieren, immer wieder etwas Gutes zu tun. Wir haben deshalb überlegt, wie wir noch mehr Leute erreichen und es ihnen noch leichter machen können, sich zu engagieren. Daraus sind Stück für Stück share und unser „1+1-Prinzip“ entstanden, das darauf beruht, dass für jedes Produkt, das ich mir im Supermarkt kaufe, ein gleichwertiges Produkt gespendet wird. Im Fall der Wasserflasche ist das ein Minimum von 20 Litern Wasser, weil es keinen Sinn macht, Wasserflaschen in Entwicklungs-länder zu verschicken. Für unsere Nussriegel wird je eine Mahlzeit gespendet und für unsere Seife je eine Seife an Hygieneprojekte. Dafür muss man keine App mehr runterladen und nicht mehr daran denken, sondern nur noch einkaufen gehen.
Wie haben Sie den Handel von Ihrem Konzept überzeugen können?
Als wir in die Diskussion mit REWE, dm und anderen Handelsunternehmen eingestiegen sind, haben wir offene Türen eingerannt: Der Wille, sich zu engagieren, wird immer stärker – auch im Mainstream. Zunehmend wird sozialer Einsatz in großen Unternehmen als Teil der Markendarstellung und als Instrument zur Kunden- und Mitarbeiterbindung gesehen, auch vom Top-Management. Den ganz konkreten Handschlag zum Start gab uns Lionel Souque, der Vorstandsvorsitzende der REWE Group. Ich glaube, ihn hat an unserem „1+1-Prinzip“ überzeugt, dass es so unkompliziert und transparent für den Verbraucher ist. Vielleicht hat er sich aber auch einfach nur von unserer Leidenschaft für die Idee anstecken lassen.
»Der Wille, sich zu engagieren, wird immer stärker – auch im Mainstream.«
Co-founder of the Berlin startup share
Zur Person: Soziale Intelligenz
Aufgewachsen in einem 1.000-Seelen-Dorf im Fichtelgebirge, entdeckt Iris Braun beim Schüleraustausch in Oklahoma, USA, ihre Faszination für andere Kulturen und Länder. Auf das Abitur folgt in Oxford ein Bachelorstudium in Philosophy, Politics and Economics. Anschließend arbeitet sie zwei Jahre lang als Unternehmensberaterin bei der Boston Consulting Group. Ihren VWL-Master mit dem Schwerpunkt Entwicklungsländer absolviert sie in Harvard, bevor ihr Weg sie für zwei Jahre nach Indien führt, um finanzielle Entwicklungen in ländlichen Gebieten zu erforschen. Zurück in Europa findet sie ihre share-Mitgründer. Dass Braun einmal im Konsumgüterhandel landen würde, hat sich die 30-Jährige nie träumen lassen.
Was ist das Erfolgsrezept von share?
Es ist die richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Heute können wir den Mainstream erreichen: Das Bewusstsein dafür, dass es Probleme gibt, die uns etwas angehen, war noch nie größer. Gerade jüngere Menschen sind auf der Suche nach einer Aufgabe für ihre Generation. Das hat die Sensoren für Probleme, die anderswo herrschen, geschärft. Zudem kann man sich heute einfach in ein Flugzeug setzen und sich anschauen, wie es vor Ort aussieht.
Was machen Sie anders als andere?
Immer mehr Unternehmen arbeiten als Vermittler zwischen Hilfsorganisationen und dem Endkunden. Wir richten unseren Fokus darauf, im Detail zu kommunizieren, wo die einzelne Spende genau ankommt und was sie ganz konkret bewirkt. Ich habe kürzlich in einem Vortrag gehört, dass es nicht in unserer deutschen Kultur ist, Gutes zu tun und darüber zu reden, sondern dass das meist stillschweigend erfolgt. Das funktioniert jedoch in unserer modernen Welt von Social Media und omnipräsenter Kommunikation leider nicht: Wer still ist, wird nicht beachtet und geht unter. Wir wollen in den sozialen Netzwerken eine soziale Marke sein, die dem dort oft angesagten schönen Schein etwas entgegenzusetzen hat. Aber anstelle von drastischen Darstellungen verhungernder Kinder wählen wir das positive Bild, dass jeder ganz einfach etwas tun kann für Menschen, die weniger Glück haben als wir.
Wie wichtig ist es, dass Ihre Kunden nachverfolgen können, welches Projekt sie mit dem Kauf eines share-Produktes konkret unterstützen?
Es ist sehr wichtig, dass wir das Tracking anbieten. Aber obwohl unsere Kunden wissen, dass sie es nutzen könnten, scannen nur 2 bis 3 Prozent den QR-Code auf der Packung tatsächlich. Für sie ist das ein echter Gewinn, der die Marke noch lebendiger macht. Auf unserer Website bieten wir auch ein „Social Impact Profile“, in dem dokumentiert ist, was man mit seinem Konsum schon alles Gutes getan hat.
Welche weiteren Produkte können Sie sich vorstellen, noch zu vermarkten?
Gerade bei den Grundbedürfnissen gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Denken Sie nur an Bildung: Hier überlegen wir noch, welche spannenden Produkte wir anbieten können. In diesem Jahr konzentrieren wir uns darauf, in unseren bisherigen Kategorien Getränke, Essen und Hygiene das Portfolio zu stärken, ob das durch ein Duschgel ist oder durch Cerealien. Bei unseren Kundenumfragen sind ein paar hundert Vorschläge eingegangen. Unter Einbeziehung dieser Ideen haben wir 20 neue Produkte entwickelt, die wir im Laufe dieses Jahres insgesamt auf den Markt bringen.
Welche Anforderungen stellen Sie an diese Produkte?
Auch wenn wir uns auf den sozialen Aspekt fokussieren, betrachten wir Nachhaltigkeit als ein Gesamtkonstrukt, das auch ökologische und ökonomische Gesichtspunkte einschließt. Die ökonomische Nachhaltigkeit liegt ja der Idee des Social Businesses zugrunde: Wir wirtschaften so, dass wir uns dauerhaft selbst tragen können. Ökologische Verantwortung schließlich erwarten Kunden, wenn sie an hochwertige Produkte denken. Da ist 100 Prozent Bio natürlich ein naheliegendes Kriterium, das wir mit sinnvollem Aufwand realisieren können. Erheblich aufwendiger wäre es, alles direkt zu sourcen: Ich habe mit Bauern in Gambia und Peru gesprochen und darüber nachgedacht, wie wir nachweisen können, von welcher Farm welche Nuss für unsere Riegel kommt. Das ist aber ein sehr komplexer und fehleranfälliger Prozess, den wir noch nicht umsetzen können und wollen. Statt alles auf einmal in Angriff zu nehmen, bemühen wir uns lieber, Schritt für Schritt besser zu werden. Darin sind wir sehr schnell und konsequent.
Wie kommt es bei Ihren Kunden an, dass alle share-Produkte in Kunststoff verpackt werden?
Das ist der Kritikpunkt Nummer eins. Aber wir können nicht alles auf einmal erreichen. Deshalb sind wir pragmatisch und konzentrieren uns darauf, für Menschen in Not Gutes zu tun. Wenn wir unsere Produkte nur noch in Butterbrotpapier verpacken würden, könnten wir nur einen Bruchteil der heutigen Menge verkaufen und würden dementsprechend viel weniger Bedürftigen helfen können. Das ist unsere Rationale. Der Riegel ist z. B. in Plastik eingepackt, weil das aktuell die beste Möglichkeit ist, ihn haltbar zu machen, ihn vor Umwelteinflüssen zu schützen und ihn in den Kanälen, in denen 99 Prozent aller Konsumenten einkaufen, verfügbar zu machen.
Immerhin: Als erster Anbieter in Deutschland lassen Sie Ihr Wasser in Flaschen aus 100 Prozent recyceltem PET abfüllen.
Ja, hier sind wir in der Tat ein Vorreiter. Zunächst haben wir in Spanien mit einem kleinen Start-up diskutiert, wie wir eine Flasche aus recyceltem Material machen können. Dann habe ich gedacht, dass es doch nicht sein könne, dass das in Deutschland nicht funktioniert. Der Kontakt zu KHS Corpoplast kam über unseren Partner für das Wasser zustande – Allgäuer Alpenwasser, ein kleiner dynamischer Betrieb, der mit KHS-Technik produziert. Wir stellten fest, dass man sicher war, eine Flasche ausschließlich aus Rezyklat herstellen zu können, dass es aber einfach noch nicht probiert worden war, wohl weil bisher jeder gezögert hatte, das technische Risiko einzugehen. Unser Abfüllbetrieb war so elektrisiert von der Idee, dass er das Experiment wagen wollte, vorausgesetzt, die Zertifikate und die Lebensmittelzulassung wären in Ordnung. Am Ende war es eine Frage des Vertrauens aller Beteiligten.
»Auch wenn wir uns auf den sozialen Aspekt fokussieren, betrachten wir Nachhaltigkeit als ein Gesamtkonstrukt.«
Co-founder of the Berlin startup share
Was hat ausgerechnet share als Pionier für recycelte PET-Flaschen qualifiziert?
Jede Idee braucht eine Person, die entschlossen ist, sie sofort umzusetzen. In diesem Fall hatte das Thema für keinen anderen Marktteilnehmer eine vergleichbare Priorität. Natürlich ist es für uns leichter als für die Großen, weil wir viel weniger Menge produzieren und einfach schneller sind. Einige namhafte Hersteller wollen ihre Flaschen 2025 umstellen, aber das ist erst in sechs Jahren. Wenn wir jetzt etwas ändern können, wollen wir nicht warten. Junge Unternehmen, die risikofreudiger und flexibler sind, werden zunehmend als Vehikel für technische Innovationen genutzt. Das finde ich sehr spannend.
Müssten Sie mit diesem Pfund nicht stärker wuchern?
Weil wir eine sehr junge Marke sind, müssen wir unsere Hauptbotschaft der sozialen Nachhaltigkeit noch stärker pushen – die ist schon schwierig genug zu verstehen. Eine weitere Botschaft betrifft den Geschmack. Mit weiteren Inhalten wird es da schon diffiziler. Wir versuchen gezielt, „langsame“ Konsumkanäle zu erreichen, in denen Menschen mehr Zeit haben, sich mit unseren Produkten zu beschäftigen. Das reicht von Gastronomie oder Veranstaltungen bis hin zu Verkehrsmitteln wie Bahn oder Flugzeug.
Wie finden Sie Partner?
Wir verstehen uns als Teil eines Netzwerks von Unternehmen, die eine soziale Idee zum Leben erwecken wollen. Wir möchten, dass unsere Partner verstehen, was wir machen und dass sie sich dafür genauso begeistern wie wir. Inzwischen kommen selbst große Unternehmen aktiv auf uns zu und suchen die Zusammenarbeit – das ist natürlich fantastisch. REWE und dm sind sehr gute Partner, die viel Einsatz gezeigt haben, um uns in den Handel zu bringen.
Haben Sie internationale Ambitionen?
Grundsätzlich ja – die Marke share bietet sich dafür auch an. Im ersten Schritt wollen wir jedoch unser Portfolio ausbauen, bevor wir das Konzept im zweiten Schritt nach Europa skalieren. Angesichts unseres Erfolgs im sehr schwierigen deutschen Markt, in dem für Lebensmittel deutlich weniger ausgegeben wird als in jedem anderen europäischen Land, sind wir optimistisch, was die internationale Perspektive betrifft.
»Die Botschaft, wie wenig es kostet, anderen zu helfen, würde ich gerne noch viel stärker verbreiten.«
Co-founder of the Berlin startup share
Gab es auf Ihrem bisherigen Weg auch Enttäuschungen?
Erstaunlich wenig. Man hat uns unterstellt, dass wir nur 10 Prozent unseres Umsatzes spenden und den Rest in die eigene Tasche stecken würden. Wer versteht schon die Kostenstruktur eines normalen Produkts? Bei Wasser zum Beispiel gehen erst mal bis zu 20 Prozent Steuern runter, dann Produktions- und Logistikkosten und so weiter. Tatsächlich schwankt der Spendenanteil je nach Produkt zwischen 5 und 10 Prozent. Kein anderes Konsumgüterunternehmen der Welt spendet einen so hohen Anteil – da brauchen wir uns überhaupt nicht zu verstecken. Mit 2 bis 4 Cent können wir 20 Liter Wasser bezahlen, mit 10 bis 20 Cent eine Mahlzeit oder eine Seife. Das ist doch, worauf es ankommt, und die Botschaft, wie wenig es kostet, anderen zu helfen, würde ich gerne noch viel stärker verbreiten. Natürlich wünsche ich mir, dass jeder unser „1+1-Prinzip“ versteht – aber im Grunde reicht es, dass die Leute wissen, dass da eine Marke ist, die etwas Gutes tut.
Wie gelingt es Ihnen, sich trotz des großen Erfolgs und der Medienaufmerksamkeit selbst treu zu bleiben?
Bei uns hat keiner Starallüren – überhaupt nicht. Die viel größere Herausforderung, die unser schnelles Wachstum bringt, ist der Organisationsaufbau. Interne Prozesse entwickeln, eine Kultur aufbauen – das geht nicht so einfach, und das hat keiner von uns vorher gemacht. Wir waren lange zu viert. Da funktioniert vieles auf Zuruf, bei inzwischen 40 Kollegen nicht mehr. Darauf – und auf die Portfolioerweiterung – setzen wir unsere Energie. Wenn wir dann noch Zeit haben, über share zu sprechen, dann machen wir das gerne.
Das Interview führte KHS-Competence-Redakteur Stuart J. Nessbach.