Kriegswirtschaft und Untergang
Auch für Unternehmen sind die Dreißiger- und Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts geprägt von Nationalsozialismus und Krieg. Sie sind eine Phase erst von Patriotismus und später von Zerstörung, an deren Ende alle bei null anfangen müssen.
In der Zeit des Nationalsozialismus hatte die Wirtschaft der Kontrolle und Mobilisierung der Gesellschaft zu dienen. Auf der einen Seite galt es die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, damit die Propaganda des Dritten Reichs ihre Wirkung entfalten konnte. Auf der anderen Seite mussten die Voraussetzungen für den geplanten Krieg geschaffen werden. Innerhalb von nur wenigen Jahre nach der Machtergreifung Hitlers sank die Arbeitslosigkeit von sechs Millionen im Januar 1933 auf unter eine Million im Jahresdurchschnitt 1937. Das Regime beanspruchte es als besonderen Erfolg seiner nationalsozialistischen Sozialpolitik, dass sich die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt in Deutschland deutlich schneller von der schweren Depression erholten als in den übrigen Industrienationen. Schnell verschob sich der Fokus endgültig in Richtung Aufrüstung.
Angesichts der Debatte
um die Entschädigung von Holocaust-Opfern und ehemaligen Zwangsarbeitern haben viele große deutsche Unternehmen ihre Geschichte in der NS-Zeit von renommierten Historikern aufarbeiten lassen.
Einsatzbereit
In einer Denkschrift zum sogenannten Vierjahresplan schreibt Hitler 1936: „Wenn es uns nicht gelingt, in kürzester Frist die deutsche Wehrmacht […] zur ersten Armee der Welt zu entwickeln, wird Deutschland verloren sein!“ Daraus ergibt sich für ihn die Aufgabe: „I. Die deutsche Armee muss in vier Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein.“ Viele Unternehmer unterstützten die Kriegsanstrengungen ihres Landes freiwillig, entweder aus Patriotismus oder aus Furcht, im Falle eines verlorenen Krieges ihre Vermögenswerte zu verlieren – eine durchaus begründete Sorge, wie die große Depression von 1929 gerade erst gezeigt hatte.
Wenig dokumentiertes Kapitel
In welchem Umfang Unternehmen mit dem Regime kollaborierten – ob aus freien Stücken oder unter Zwang – ist heute unterschiedlich gut nachzuvollziehen: Gerade im Fall der großen Konzerne ist die Unternehmensgeschichte bis in die unrühmlicheren Kapitel hinein häufig gut dokumentiert und erforscht. Bei mittelständischen und Familienbetrieben, deren Inhaber meist nicht in der ersten Reihe der deutschen Wirtschaftselite standen, stellt sich die Situation oft anders dar: Professionell geführte Archive existieren kaum, betreffende Archivalien sind für immer verloren und die Erinnerungen an eine Zeit, an die man vielleicht ohnehin nicht so gerne zurückdenkt, sind längst verblasst.
Da ist es ein Glück, wenn noch Publikationen vorhanden sind, die einen Einblick in diesen Teil der Geschichte erlauben: Als zum Beispiel die Seitz-Werke in Bad Kreuznach im Sommer 1937 feierlich ihr 50-jähriges Jubiläum zelebrieren, wird eine Broschüre aufgelegt, die den Eindruck eines weltoffenen Unternehmens vermittelt – bis hin zum Hinweis, dass die Seitz-Werke „eigene Produktions-Stätten in Übersee und einigen europäischen Staaten, 53 Filialen, Auslands-Niederlassungen, Agenturen und Generalvertretungen in aller Welt“ unterhalten. Eine wenig später veröffentlichte weitere Druckschrift lädt zum Rundgang durch das Werk ein. In ihr sind Bilder der Jubiläumsfeier zu sehen, die das Werk mit Hakenkreuzen dekoriert zeigen. Als Gäste der Veranstaltung werden hier „sämtliche Werks-Angehörige mit ihren Frauen, die Spitzen von Partei und Behörden sowie eine Anzahl persönlicher Freunde des Hauses Seitz“ aufgezählt. Im weiteren Verlauf wird der Verleihung des „Leistungsabzeichens für vorbildliche Berufserziehung“ durch Reichsorganisationsleiter Robert Ley gezeigt und festgestellt, dass es „wohl keiner Erwähnung“ bedürfe, dass „jeder Einzelne an den Geschicken von Volk und Reich, am Aufbauwerk unseres Führers und an allem, was um uns in der Welt vorgeht“, regen Anteil nehme.
Dass aus den anderen Unternehmen, die sich später zur KHS zusammenfügen, solche Dokumente nicht erhalten sind, mag Zufall sein – über ihre politische Orientierung jedenfalls sagt das nichts aus.
Die Situation im Dritten Reich
war von konstanten und offenen Drohungen nicht nur gegen jede Person, sondern auch gegen Unternehmen, die den vom Regime definierten nationalen Interessen nicht dienen wollten, gekennzeichnet.
Einmischungen und Sparmaßnahmen
Die 1968 anlässlich des 100. Firmenjubiläums von Holstein & Kappert in Dortmund erschienene Festschrift berichtet von den Dreißiger- und Vierzigerjahren als einer turbulenten Phase für das Unternehmen: 1935 beziehungsweise 1936 starben mit den beiden Geschäftsführern Justus Holstein und Max Lübbert die letzten Vertreter der Familien Holstein und Kappert. Nicht genug damit, dass es schwierig war, diese Lücken zu füllen, sah sich die Unternehmensleitung durch „zu dieser Zeit einsetzende Einmischungen des nationalsozialistischen Regimes“ gehemmt. Was mit „allgemeinen Lenkungsmaßnahmen“ begann, setzte sich mit Sparmaßnahmen in Bezug auf alle Edelmetalle und andere Werkstoffe fort und stellte die Konstrukteure vor sehr schwierige Aufgaben.
Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 sei bei Holstein & Kappert die bisherige Fertigung fast vollständig zum Erliegen gekommen, stellt die Festschrift fest, da der Betrieb für Rüstungsaufträge eingesetzt worden sei. Andererseits heißt es jedoch, dass die Rüstungsproduktion 1940 aufgrund des von der Regierung erwarteten baldigen Kriegsendes vorübergehend stark gedrosselt wurde – eine Behauptung, die im Widerspruch zu der Statistik der Waffenproduktion zwischen 1939 und 1945 steht – sodass man bei H&K neben milchwirtschaftlichen Anlagen auch Braumaschinen habe bauen können. Der Autor erklärt, dass das Produktionsvolumen in diesen beiden Sparten auch während des Krieges die Rüstungsproduktion immer überwogen habe, ohne dass er dies durch Zahlen belegt.
Bei den Seitz-Werken
in Bad Kreuznach wurden ab Ende 1944 Lehrlinge als Luftraumbeobachter in einem Turm auf dem Dach des Hauptgebäudes eingesetzt. Beim gut sichtbaren Anflug von Bomberverbänden machten sie Meldung und brachten sich dann im Keller in Sicherheit.
Granaten und Bomben
Ein gewisser Herr Paul, der im Dezember 1949 seine Erinnerungen an über 40 Jahre Mitarbeit bei H&K detailreich niederschreibt, weiß vier Jahre nach Kriegsende hingegen noch genau zu berichten, welche Arten von Rüstungsgütern in Dortmund hergestellt wurden: „Im zweiten Weltkrieg betätigte die Firma sich mit der Anfertigung von Granaten, U-Boot-Turmaufbauten, Schiffsankern, Ringen für Fahrzeuganhänger, Bomben, Rollbahnen für Munitionsfabriken“, hält er in seinen Aufzeichnungen fest.
In den Seitz-Werken wurden während des Zweiten Weltkrieges, glaubt man den Ausführungen eines 1987 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums erschienenen Buches, Wasserentkeimungsfilter für das Rote Kreuz und „die kämpfende Truppe“ gebaut. Da es sich dabei um ein kriegswichtiges Produkt gehandelt habe, mussten Teile des Betriebs ausgelagert werden – zum Beispiel nach Hochstein in der Pfalz und nach Wels bei Linz. Von der Herstellung weiterer Rüstungsprodukte ist in den vorhandenen Quellen keine Rede.
Zwangsarbeiter
damals als Fremdarbeiter bezeichnet – waren meist Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Zivilpersonen der besetzten Gebiete; ab 1940 auch deutsche Juden. Sie mussten die Arbeiter, die im Krieg waren, ersetzen und die Kriegsproduktion aufrechterhalten.
Rund neun Millionen Zwangsarbeiter beziehungsweise Kriegsgefangene müssen im Deutschen Reich im September 1944 die Arbeitsleistung der Volkswirtschaft aufrechterhalten und das Fehlen rund zwölf Millionen deutscher Männer kompensieren, die an der Front im Einsatz sind. Allein in Dortmund sind es rund 45.000 ausländische Frauen und Männer – zumeist aus der Ukraine –, die unfreiwillig in Betrieben und Zechen, aber auch in Privathaushalten, öffentlichen und sogar kirchlichen Einrichtungen arbeiten müssen. Bei H&K sind bis zu 150 von ihnen in Baracken im Werk untergebracht. Bei den Seitz-Werken in Bad Kreuznach gehen Quellen von 30 Zwangsarbeitern aus, ähnlich stellt es sich bei Enzinger-Union in Worms dar.
Die Zerstörunge
der Industrie Deutschlands waren deutlich geringer als häufig angenommen – eine wichtige Voraussetzung für den schnellen Wiederaufbau.
Schwere Zerstörungen
Im November 1944 werden die Fabrikanlagen von H&K bei zwei schweren Luftangriffen auf Dortmund nachhaltig getroffen und zu etwa 80 Prozent zerstört. Dazu merkt Herr Paul an, dass die bei Kriegsbeginn als besonders vorbildlich geltenden Bunker von H&K sich als „völlig ungenügend“ erwiesen – nicht zuletzt, weil der damalige Betriebsleiter, „der eifrigste Nazi der Firma“, es unterlassen habe, sicherere Bunker zu bauen. Bei Fliegeralarm sei die Belegschaft deshalb nach allen Seiten auseinandergelaufen und habe Schutz in benachbarten Bunkern oder im freien Gelände gesucht. Von den zuvor 600 Mitarbeitern sind Ende 1944 nur noch sechs Personen produktiv in der Ersatzteilfertigung tätig – die meisten sind an der Front im Einsatz.
Insgesamt zehn Betriebsangehörige kommen ums Leben. Anders als bei früheren Bombenangriffen gelingt es nun nicht mehr, die Schäden durch provisorische Reparaturen zu beheben, um den Betrieb wieder in Gang zu bringen. Fotos zeigen dort, wo bisher die Hallen standen, ein unentwirrbares Knäuel verbogener Eisenträger, eingestürzte Mauern und Dächer sowie im Gelände umherstehende beschädigte oder zerstörte Maschinen.
Gegen Ende des Krieges wird die H&K-Betriebsabteilung für Molkereimaschinen und -geräte auf behördliche Veranlassung hin nach Zerbst in Sachsen-Anhalt verlegt – die mit Maschinen und wertvollen Rohstoffen beladenen Waggons erreichen jedoch längst nicht alle ihr Ziel. Das dortige Werk wird nach dem Krieg zunächst unter dem Namen H&K weitergeführt, ab 1962 aufgrund der politischen Verhältnisse jedoch ohne Einflussmöglichkeiten durch das Dortmunder Stammhaus. Andere Teile des H&K-Betriebes werden in eine noch nicht zerstörte Werkzeugmaschinenfabrik, einen Krupp-Betrieb im sauerländischen Neuenrade sowie in das Dortmunder Untersuchungs- und Strafgefängnis ausgelagert.
Fast 9 Millionen Menschen
wurden bis Januar 1945 im Deutschen Reich evakuiert. Rund 840.000 davon mussten im Zuge von Betriebsverlagerungen ihren Heimatort verlassen.
Verlorene Patente
In Bad Kreuznach hofft man bereits, den Krieg ohne nennenswerte Schäden überstanden zu haben, als am 2. Januar 1945 ein schwerer Luftangriff die Seitz-Werke trifft: Zwei Luftminen, 35 Sprengbomben und 53 Brandbomben zerstören 80 Prozent der Werksanlagen. Das große Verwaltungsgebäude brennt völlig aus, das Firmenarchiv, die wertvolle Patentbibliothek und der größte Teil des Modelllagers werden ein Raub der Flammen. In der Jubiläumspublikation von 1987 beklagt der Autor, dass man „ohnmächtig mitansehen musste, wie nach Kriegsende im Filterwerk die einzige noch funktionsfähige Produktionsanlage demontiert wurde und unzählige Seitz-Patente und -Schutzrechte in fremde Hände gerieten“.
Auch die Enzinger-Union-Werke hat es schwer getroffen: Schon 1944 wurden die Fabriken in Mannheim und Berlin zerstört, 1945 wurde das Werk in Pfeddersheim demontiert. 1979 zitiert eine anlässlich des 100-jährigen Bestehens veröffentlichte Broschüre den früheren Obermeister Reifenberg: „1945: eine zerstörte Fabrik, gelähmte Maschinen, Durcheinander überall. Wir begannen einen neuen Zeitabschnitt und fristeten unser Dasein erst einmal mit Reparaturen für Privathaushalte, der Herstellung von Ofenteilen, Ölpressen und dergleichen mehr.“
In der Nachkriegszeit machte das Wort Kompensation die Runde. Was man darunter zu verstehen hatte, erklärt Reifenberg an einem einfachen Beispiel: „Brauchte eine Brauerei ein Ersatzteil, musste sie dafür vorher Buntmetall abliefern. Auf diese Weise wurden selbst herrliche Feuerwehrhelme und andere Gegenstände eingeschmolzen, um die sich Antiquitätenhändler heute reißen würden.“
Das historische Stadtzentrum Dortmunds
wurde zu 95 Prozent zerstört – insbesondere durch den Angriff vom 12. März 1945, der im gesamten Zweiten Weltkrieg als schwerster konventioneller Luftangriff gegen eine Stadt in Europa gilt.
Suche nach Baumaterial
Bei Seitz müssen alle anpacken, um das Baumaterial für den Wiederaufbau zu besorgen: Vom Laborleiter bis zum Vertreter fuhren die verbliebenen Mitarbeiter über Land, um unter oft abenteuerlichen Umständen Steine, Zement, Dachpappe, Teer und Fensterglas zu „organisieren“. In den ersten Nachkriegsjahren beschränkte man sich notgedrungen darauf, die ersten Gebäude instandzusetzen und Werkstätten wiedereinzurichten. Der eigentliche Wiederaufbau kam erst 1950 in Gang, als sich in der Folge der Währungsreform das Geschäftsleben zunehmend normalisierte. Bis zur Einweihung des letzten wiedererrichteten Gebäudes dauert es in Bad Kreuznach noch bis 1955.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nstrebten die Siegermächte Wiedergutmachung für erlittene Schäden an und wollten Deutschland durch die Zerschlagung seiner Rüstungsindustrie militärisch schwächen. Anlagen im Ruhrgebiet wurden demontiert und im Austausch für landwirtschaftliche Erzeugnisse an die sowjetischen Besatzer übergeben.
Aufräumarbeiten
In Dortmund ist das historische Stadtzentrum durch über 100 Luftangriffe mit rund 23.000 Tonnen Sprengstoff zu 95 Prozent zerstört. Kurzfristig wird sogar erwogen, die Trümmer als Mahnmal gegen den Krieg liegen zu lassen und die Stadt an einer anderen Stelle neu zu errichten. Bereits im Mai erhält H&K von den amerikanischen Besatzern eine generelle Arbeitserlaubnis, und Ende 1945 folgt ein „Sonderpermit für die Herstellung von Molkereimaschinen“. Bevor es jedoch dazu kommt, müssen über 1.000 Tonnen Bauschutt und 400 Tonnen Schrott entsorgt werden – eine Herkulesaufgabe, an der die gesamte Belegschaft tatkräftig mitwirkt. Soweit unter diesen Umständen überhaupt von Fertigung gesprochen werden kann, beschränkt man sich darauf, aus vorhandenem Material Ersatzteile herzustellen. Die Produktion von Kleinmaschinen – eigentlich seit zwanzig Jahren nicht mehr Teil des Sortiments – stellt da schon einen bemerkenswerten Fortschritt dar. Bis das Wirtschaftswunder auch die Vorgänger von KHS erfasst hat, soll es noch mindestens ein Jahrzehnt dauern.