Bei KHS in Kleve verlassen jährlich durchschnittlich 150 Verpackungsmaschinen die Produktionshallen, in den Spitzenzeiten von November bis April auch schon mal eine Maschine pro Tag: Dann rüsten die Getränkehersteller vor den verkaufsstarken Sommermonaten technisch auf, damit sie sich in ihrer Saison ausschließlich auf die Abfüllung und Auslieferung ihrer Produkte konzentrieren. Im Vordergrund steht bei den Verpackungsexperten am Niederrhein jedoch nicht allein die Kapazität, sondern die technologische Innovationskraft des Unternehmens – und die hat eine lange Tradition.

Gegründet wird das Unternehmen 1957 von den Eheleuten Karl und Maria Kisters – er versierter Schlossermeister, sie Kauffrau mit ausgeprägtem technischen Verständnis. In „Garagenfertigung“ mit zunächst zwei weiteren Angestellten werden Maschinen für die lokale Industrie gebaut, speziell für den Kinderschuhhersteller Elefanten, in dessen Schlosserei Kisters gelernt hat. Schnell wendet sich der Betrieb auch anderen Produkten zu, zum Beispiel für XOX, einen großen in Kleve ansässigen Produzenten von Süß- und Salzgebäck. Innerhalb weniger Jahre finden nun auch Lebkuchen-Schneidemaschinen, Folieneinschlag- und Klebevorrichtungen für Pralinenschachteln, Waffelfaltautomaten so­wie eine Erdnuss-Flips-Maschine Eingang ins Sortiment.

Schon früh artikuliert Karl Kisters sein Credo: „Was wir bauen, muss ewig halten!“ Darin drückt sich sein hoher Qualitätsanspruch aus, aber auch, dass man in Kleve angesichts eines damals noch fehlenden flächendeckenden Service-Netzwerks von einer einmal ausgelieferten Maschine am liebsten die nächsten 20 Jahre nichts mehr hören möchte.

Humorvoller Umgang

Nicht immer läuft alles gleich beim ersten Versuch glatt: Franz Grunenberg, der 1962 im Alter von 14 Jahren bei Kisters seine Ausbildung zum Schlosser beginnt, erzählt von einer Butterkeksmaschine: „Die Kekse kamen in Schächte und wurden mit Hilfe von Messern in die Kartönchen geschoben. Weil die Kekse damals aber nicht alle hundertprozentig gleich dick waren, gab es am Anfang schon mal Probleme. Wir haben die Maschine deshalb auch Keksbrechanlage genannt“, erinnert er sich. Überhaupt sei Kisters ein äußerst humorvoller Mann gewesen: „Im Betrieb hatten wir eine Klingel, die montags immer so oft schellte, wie in der Vorwoche Maschinen verkauft worden waren. Für jede Maschine war ein eigener Klingelton reserviert“, berichtet Grunenberg. „So war die gesamte Belegschaft nicht nur im Bilde darüber, wie viele, sondern auch welche Maschinen an den Mann gebracht worden waren.“

Die Affinität für Technik und Bastelfreude beschränkt sich bei Karl Kisters keineswegs auf sein Unternehmen: Einmal konstruiert er zusammen mit seinem Azubi Grunenberg ein ferngesteuertes, mit Flüssigtreibstoff betriebenes „Kanonenboot“, in dem Böller, Glühfaden und Schalldämpfer verbaut werden und das seine Jungfernfahrt im Baggerloch antritt. Bei anderer Gelegenheit muss auf der Rückfahrt von einer Messe in Frankreich gestoppt werden, um am Straßenrand ein altes Radio aufzusammeln, das später zu „Forschungszwecken“ auseinandergenommen wird. Da wundert es nicht, dass Grunenberg sich bisweilen wie der Sohn von Kisters fühlt, den dieser nie hatte. Das Klima bei Kisters ist so familiär, dass die Mitarbeiter Chef und Chefin respektvoll „Vater“ und „Mutter“ nennen.

Bei allem Spaß ist Kisters in erster Linie außerordentlich ernsthaft – und erfolgreich. Werner Oster absolviert hier ab 1970 seine Ausbildung als erster Elektrolehrling – in einem schnell wachsenden Unternehmen, das damals schon als äußerst fortschrittlich gilt: „In den Sechzigerjahren war Kisters in Deutschland der erste Hersteller von Verpackungsmaschinen, auf denen unterschiedliche Applikationen liefen. Dank der austauschbaren Formatsätze, die innerhalb von nur zehn Minuten gewechselt werden konnten, sparte man sich die Anschaffung einer zweiten Maschine. Damit hatte das Unternehmen auf dem deutschen Markt damals schon eine Alleinstellung inne“, weiß der frühere Director Project Processing, der 2017 nach 46 Jahren Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand wechselt.

Klever Pioniergeist

In den Siebzigerjahren entwickelt Kisters die erste eigene SPS-Steuerung weltweit, die Prozesse, den Maschinenstatus, aber auch Fehlermeldungen visuell darstellen kann. Oster fährt fort: „Ende der Achtziger waren wir dann die ersten, die im Verpackungsbereich in einer Maschine mehrere dezentrale Servoantriebe anstelle des bisher üblichen Generalantriebs beispielsweise über eine Königswelle eingesetzt haben. Möglich war das nur dank unserer eigenen SPS-Steuerung. Diese war damals schon so konzipiert, dass man anstelle der sonst üblichen hexadezimalen Eingaben logische Parameter wie Millimeter, Sekunden oder Minuten eingeben konnte“, erinnert er sich. „Außerdem haben wir immer dafür gesorgt, dass selbst die feinste Elektronik von den Bedienern mit den dicksten Handschuhen gesteuert werden konnte.“

Obwohl das Unternehmen und seine Innovationen längst Weltgeltung haben, bewahren sich die Firmeninhaber ihren unkonventionellen Führungsstil: Karl Kisters akquiriert auf seinen Reisen Aufträge, die seine Techniker teils vor große Herausforderungen stellen – nicht nur, weil der Raucher das Maschinenlayout meist auf das Innenpapier seiner Finas-Zigarettenschachteln zeichnet. Finden seine Konstrukteure einmal keinen Weg, seine Ideen umzusetzen, kommt Kisters montags selbst mit einer Lösung in den Betrieb, die er am Wochenende in der heimischen Garage entwickelt hat. Maria Kisters, zuständig für das kaufmännische Wohl der Firma, erscheint nie ohne ihren Hund im Büro – und wen der Boxer nicht mag, der wird bei Kisters nicht eingestellt. Andererseits vertritt sie hinsichtlich der Motivation ihrer Angestellten einen klaren Standpunkt: „Die Leute müssen morgens mit Freude zur Arbeit kommen“ betont die Chefin mehr als einmal. Wer zur sprichwörtlichen Kisters-Familie gehört, bezeichnet sich stolz als Kisteraner, selbst dann noch, als die Belegschaft Mitte der Neunziger auf rund 500 Mitarbeiter angewachsen ist und das Unternehmen einen Umsatz von über 100 Millionen Euro jährlich erzielt.

Um ihren altersbedingten Rückzug aus dem Betrieb vorzubereiten, verkaufen Karl und Maria Kisters, die nie eigene Kinder bekommen haben, 1987 nach langer und gründlich überlegter Suche 50 Prozent ihres Unternehmens an Klöckner Mercator Maschinenbau in Duisburg. Maßgebliches Kriterium ist die Hoffnung, dass am Standort Kleve auch weiterhin Verpackungsmaschinen gebaut werden und die Mitarbeiter ihre berufliche Perspektive behalten sollen. Fünf Jahre später verkaufen sie auch ihre noch verbliebenen Geschäftsanteile, ziehen sich aus dem operativen Geschäft ganz zurück und gründen mit dem Erlös aus dem Anteilsverkauf die gemeinnützige Kisters-Stiftung.

Schon in den Sechzigerjahren engagiert sich Kisters für die Qualifikation seiner Mitarbeiter: Im Bild Franz Grunenberg (links) als Auszubildender.
Schon in den Sechzigerjahren engagiert sich Kisters für die Qualifikation seiner Mitarbeiter: Im Bild Franz Grunenberg (links) als Auszubildender.

Modulares System

Einen regelrechten Quantensprung markiert zur Jahrtausendwende schließlich die Einführung eines modularen Maschinenkonzeptes, das in weiterentwickelter Form bis heute im Einsatz ist. Innerhalb von drei Prozess-Modul-Gruppen (Formatieren, Falten, Folie) können verschiedene Basismodule jeweils mit optionalen Modulen flexibel kombiniert werden. Die neue Struktur nimmt der Markt spontan so begeistert auf, dass die erwartete Zahl an Bestellungen schon im ersten Jahr um ein Vielfaches übertroffen wird.

2003 wird das Unternehmen von Klöckner auf die KHS-Gruppe übertragen und vollständig in diese integriert. Administrative Bereiche sowie der Vertrieb wurden in KHS Organisation überführt und sorgten somit zu einer Anpassung der Stammbelegschaft in Kleve, auch wurde der Standort als Werk geführt. „Dies war schon ein harter Einschnitt für uns alle“, erinnert sich Franz Grunenberg.

INFO

Dem Gemeinwohl verpflichtet

Die Kisters Stiftung

Das Wohl ihrer Mitarbeiter hatte den Eheleuten immer besonders am Herzen gelegen. So war ihnen außerordentlich wichtig, dass nach dem Verkauf ihres Firmenanteils der Standort Kleve erhalten blieb, damit auch nachfolgende Generationen Kleve als eine attraktive Wohn- und Arbeitsstätte wahrnehmen könnten. Auch über das Unternehmen hinaus engagierten sich Karl und Maria Kisters – besonders in der Förderung junger Menschen. Mit dem Erlös aus dem Unternehmensverkauf gründeten sie deshalb 1999 die Kisters-Stiftung, die verschiedene gemeinnützige Aktivitäten in der Region Kleve finanziell unterstützt und sich besonders den Themen Aus- und Weiterbildung widmet. Zur Stiftung gehört unter anderem ein Film- und Tonstudio, da audiovisuelle Medien den ambitionierten Schmalfilmer Karl Kisters zu Lebzeiten stets interessiert und begeistert hatten.

Schon vor Gründung ihrer Stiftung hatten sich die Kisters jahrzehntelang für das Wohlergehen ihrer Wahlheimat Kleve eingesetzt. Die Ergebnisse ihres bürgerschaftlichen Engagements sind im Klever Stadtbild bis heute an jeder Ecke wahrnehmbar – etwa im Kolpinghaus, dessen Neubau das Unternehmerehepaar 2001 übernahm. Dem Kolpingwerk war der 1924 in Straelen am Niederrhein geborene Kisters zeitlebens eng verbunden: Während seiner Lehrzeit hatte er im Kolpinghaus gewohnt und hier seine spätere Frau kennengelernt. Die Kisters’ unterstützten außerdem die Klever Klosterpforte, die sich um Randgruppen der Gesellschaft kümmert, den Bau von Kindergärten, waren im Klevischen Verein für Kultur und Geschichte aktiv und bezahlten ein Beatmungsgerät für die Neugeborenen-Intensivstation des Klever Krankenhauses.

Ihr Gemeinsinn brachte Maria und Karl Kisters zahlreiche Auszeichnungen ein: 2005 wurde ihnen durch die Stadt Kleve die Ehrenbürgerwürde verliehen. 2011 kürten die Leser der Rheinischen Post in einer Umfrage Karl Kisters - drei Jahre nach seinem Tod – zum „größten Sohn der Stadt“. So viel Verehrung wäre dem überaus bescheidenen Mann, der nie ein Mensch großer Worte war, sicher ein bisschen unangenehm gewesen.

Neue Ideen

Im verschlankten Unternehmen, nun ohne seine Gründer, erwacht der alte Erfindergeist schnell aufs Neue. Jüngstes Beispiel dafür ist das Nature MultiPack™, bei dem PET-Flaschen statt mit einer Sekundärverpackung aus Schrumpffolie oder Karton nur durch Klebepunkte miteinander verbunden werden – stabil während des Transports, für den Verbraucher ganz leicht zu lösen. Aber das ist nur eine der durch 427 Patente geschützten Innovationen, die hier entwickelt wurden. Rund 4.000 Verpackungsmaschinen aus Kleve sind heute weltweit in Betrieb. Die ältesten davon stammen aus den Achtzigern, und manche von ihnen werden ihren Dienst noch lange absolvieren.