Welche Erwartungen haben Verbraucher heute hin­sichtlich der Nachhaltigkeit von Getränkeverpackungen?

Von den Markenherstellern erwarten Konsumenten, dass sie über die normalen regulatorischen Lizenzen hinaus auch über die „License to operate“ verfügen, also von Konsumenten, NGOs* und weiteren Stakeholdern als nachhaltig handelnde Marke akzeptiert werden – das gilt im Getränkebereich ganz besonders für die Verpackung.

Wie haben sich Getränkeverpackungen im Lauf der Zeit aus ökologischer Sicht verändert?

Seit Jahren engagieren sich Hersteller für die Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks von Getränkeverpackungen. Insbesondere das Gewicht wurde erheblich reduziert. Es wurden Anstrengungen unternommen, auch die Einwegflaschen nach Gebrauch einzusammeln und einem Recycling zuzuführen. Bei Kunststoffflaschen aus PET wurden ­Bottle-to-Bottle-Recyclingsysteme entwickelt, um PET-Rezyklat als sekundären Rohstoff bei der Produktion von Preforms und Flaschen ergänzend einzusetzen. Als ­weitere Verbesserung der PET-Flaschen wurden Verfahren eingeführt, um den Kunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen. Ein Beispiel ist die von ­Coca-Cola entwickelte PlantBottleTM, ein anderes die Herstellung von PEF durch Synvina, ein Gemeinschaftsunternehmen von BASF und Avantium.

Hiermit steht für die Herstellung von Kunststoffflaschen eine Kombination aus Rezyklat auf der einen und nachwachsenden Rohstoffen auf der anderen Seite zur Verfügung, die deren ökologischen Fußabdruck deutlich reduziert.

»Pflanzenbasierte Kunststoffe können biologisch abbaubar sein, müssen es aber nicht.«

Klaus Peter Stadler

Welche Rolle spielen pflanzenbasierte Kunststoffe für die Nachhaltigkeit und wäre eine kompostierbare Flasche nicht das Beste?

Zunächst müssen wir einen weitverbreiteten Irrtum aufklären: Pflanzenbasierte Kunststoffe können zwar biologisch abbaubar sein, müssen es aber nicht. Heute kann man aus jeder Art von Biomasse verschiedenste Kunststoffe wie Bio-PET oder PEF herstellen, die jedoch nicht biologisch abbaubar sind. Kunststoffe, bei denen das geht, etwa PLA, sind für CO2, Wasser und Sauerstoff durchlässiger und daher für Getränkeanwendungen nur eingeschränkt einsetzbar. Umgekehrt gibt es aber seit einiger Zeit bereits Werkstoffe aus fossilen Rohstoffen, die biologisch abbaubar sind, wie zum Beispiel ecoflex® von BASF. Diese spielen im Getränkebereich jedoch keine Rolle.

Gibt es bei biobasierten Kunststoffen eine Kehrseite der Medaille?

Bei der Herstellung von biobasierten Kunststoffen werden nachwachsende Rohstoffe benötigt. Diese werden entweder, wie zum Beispiel Zuckerrohr, gezielt angebaut – man spricht von der ersten Generation – oder es werden biologische Pflanzenabfälle genutzt – Biomasse der zweiten Generation. Bei der ersten Generation müssen wir auf den nachhaltigen Anbau achten. Es darf hierfür kein Regenwald abgeholzt werden und die Anbaufläche darf nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen. Um das sicherzustellen, gibt es umfangreiche Zertifizierungssysteme wie Bonsucro für Rohrzucker.

Bei der zweiten Generation, also dem Einsatz von Pflanzenabfällen, sind diese Probleme nicht mehr gegeben. Mittlerweile arbeitet man bereits an der dritten Generation, zum Beispiel in Form von Algen, die COaus der Luft aufnehmen und zu Biomasse umwandeln.

Ein wichtiges Kriterium der ökologischen Bewertung eines Materials ist die Ökobilanz, die eine Vielzahl von Umwelteinflüssen beurteilt. Dazu gehören CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, Feinstaub oder Eutrophierung*. Gegenüber Werkstoffen auf der Basis fossiler Rohstoffe sind bei biobasierten Kunststoffen einerseits die CO2-Emissionen deutlich reduziert, andererseits ist jedoch der Wasserverbrauch deutlich höher. Ziel ist es, die richtige Balance zwischen all den Umwelteinflüssen zu finden.

„Die zur Herstellung pflanzenbasierter Kunststoffe benötigten Anbauflächen dürfen nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen“, betont Stadler.
Zukunftsvision: Wenn mehr Menschen ihre Softdrinks zuhause selbst produzieren, fällt weniger Verpackungsmüll an und Transporte sowie der damit verbundene CO2-Ausstoß werden reduziert.
Der promovierte Chemiker Klaus Peter Stadler erklärt, was es mit biobasierten Kunststoffen auf der einen und mit biolo­gischer Abbaubarkeit auf der anderen Seite auf sich hat.
„Bei der Entwicklung nachhaltiger ­Verpackungskonzepte nehmen NGOs eine wichtige Rolle als Treiber der ­Industrie ein“, findet Klaus Peter Stadler.
Gute Zukunftsaussichten schreibt Nachhaltigkeitsexperte Stadler der biobasierten Flasche zu – in Kombination mit recyceltem PET oder PEF.

Welche Entwicklungen und Trends sind abzusehen oder vorstellbar?

Eine große Rolle spielt künftig die Kombination aus dem stofflichen Recycling-Kreislauf auf der einen und dem biologischen Kreislauf als Rohstofflieferant für Biomasse auf der anderen Seite. Darüber hinaus wissen wir nicht, welche ganz neuen Ideen den Markt in den nächsten zehn Jahren vielleicht aufmischen werden. Systeme, die Konzentrate für Getränke in einer ähnlichen Form wie die bekannten Kaffeekapseln anbieten, gewinnen weltweit an Bedeutung. Mit ihnen kann der Konsument sein karbonisiertes Getränk zuhause selbst herstellen – in einer Maschine oder durch Aufschrauben einer Art Kartusche auf eine Wasserflasche. In entwickelten Märkten mit hoher Trinkwasserqualität reduziert das die Menge an Verpackungsmaterial und sorgt beim Transport für Einsparungen – beides kann sich positiv auf die Ökobilanz auswirken. Weitergehende Ideen einer Mikro- oder Nanoproduktion für Softdrinks zuhause sind eher Visionen als ein Trend, gehen aber derselben Frage nach: Warum muss ich zuhause, wo 70 bis 80 Prozent des Konsums stattfinden, an der Flasche festhalten?

Welchen Nutzen haben biobasierte Kunststoffe für die Getränkeindustrie?

Sie machen uns unabhängig vom Öl und senken den CO2-Ausstoß. So gesehen enthält die Biomasse über die Photosynthese Kohlendioxid aus der Atmosphäre und „bindet“ sie in den Flaschen. Ähnlich wirkt Recycling: Wenn ich meinen Plastikmüll nicht verbrenne – was zum Beispiel in Europa nur zugelassen ist, sofern eine energetische Rückgewinnung über Dampf oder Strom erfolgt – dann verbleibt das gebundene CO2 im Kreislauf der Kunststoffflaschen. Für biologisch abbaubare Kunststoffe, die kompostiert werden, gilt umgekehrt, dass es sich um eine kalte Verbrennung handelt, bei der Mi­kroorganismen den Kunststoff metabolisieren und dabei CO2 emittieren – das wird in der Ökobilanz wieder aufgerechnet.

Wer sind die Haupttreiber dieser Entwicklung und welche Interessen verfolgen sie?

Eine gewisse Rolle spielen sicher die LOHAS**, die interessierten Konsumenten, denen bewusst ist, dass Verpackungen nicht auf die Straße oder ins Meer geworfen beziehungsweise verbrannt werden dürfen. In ihrer Meinung bestärkt werden sie von den NGOs und den sogenannten Campaignern. Während letztere sich selbst profilieren wollen, indem sie die Industrie vorführen – und sich dabei auch schon mal von den Tatsachen entfernen –, zeigen NGOs Schwachpunkte im ökologischen Bereich auf und denken in einem fairen Prozess gemeinsam mit den Unternehmen über Lösungswege nach. Ein großer Schritt ist etwa das öffentliche Bewusstsein, dass die Ellen MacArthur Foundation für das Thema „Circular Economy“ (Kreislaufwirtschaft) geschaffen hat. Es gibt viele gute Ansätze, die jedoch manchmal an der schwerfälligen operativen Umsetzung in den Unternehmen kranken. Hier übernehmen die NGOs die Funktion, die Versprechen einzufordern.

Welche Herausforderungen stellen diese Entwicklungen an Maschinen- und Anlagenbauer?

Das Ganze ist aus heutiger Sicht eher ein Chemie- als ein Maschinenbau-Thema, solange es uns gelingt, sogenannte Drop-in-Lösungen zu finden, die mit der bestehenden Infrastruktur funktionieren. PET-Preform- oder -Streckblasmaschinen funktionieren auch mit Bio-PET oder PEF. Während für Bio-PET im Recyclingstrom nichts verändert werden muss, wird es für PEF bei zunehmenden Mengen einen weiteren Wertstoffstrom geben. Die Trennung ist aber mit existierenden Systemen möglich. Dass man in der gesamten Wertschöpfungskette auf bestehende Investitionen zurückgreifen kann, macht Bio-PET und PEF so genial. Man kann deshalb die Effekte von Ökologie und Ökonomie nicht nur vertikal betrachten, sondern muss sich der Wertschöpfungskette auch horizontal nähern und überlegen, wie man dem Material gemeinsam zum Erfolg verhelfen kann. Dafür bedarf es zum Beispiel eines Bekenntnisses der Hersteller über die langfristige Abnahme von Biokunststoffen und Rezyklat, damit die Recycler das wirtschaftliche Risiko nicht alleine tragen müssen.

Was passiert in den Ländern, die beim Thema Recycling heute weniger vorbildlich sind?

Der Druck, das Material im Markt zu sammeln, wird auch hier stärker. Littering wird immer mehr als störend empfunden, und gerade das Marine Littering, die Verschmutzung der Meere, nimmt derzeit in den Medien breiten Raum ein. Auch wenn sich das Phänomen nicht auf Kunststoffflaschen beschränkt, stehen die Getränkeflaschen großer Marken aufgrund der Arbeit von Campaignern im Fokus. Im Rahmen der Extended Producer Responsibility*** werden Hersteller in die Verantwortung genommen. So hat sich weltweit die Diskussion über Pfandsysteme verstärkt und man erwartet, dass nicht nur 30, 40 oder 50 Prozent der PET-Flaschen dem Wertstoffkreislauf wieder zugeführt werden können, sondern über 90 Prozent.

»Die nachhaltige Flasche wird aus einem Mix aus Rezyklat und biobasiertem Kunststoff bestehen.«

Klaus Peter Stadler

Welche Erfolgsbeispiele gibt es in der Getränkeindustrie?

Gute Ansätze finden wir da, wo Bio-PET im kommerziellen Einsatz ist – zum Beispiel in Deutschland bei der Getränkemarke VIO mit 100 Prozent Bio-PET 30 –, oder wo Rezyklat intensiv genutzt wird – etwa bei Coca-Cola Life, bei der die 1,5-Liter-Flasche zu 100 Prozent aus wiederverwerteten Rohstoffen besteht.

Wie viel mehr sind Verbraucher bereit, für eine ökologisch nachhaltige Verpackung auszugeben?

Einen höheren Preis bezahlen möchte niemand. Verbraucher erwarten selbstverständlich, dass Getränkehersteller ihre ökologische, soziale und ökonomische Verantwortung wahrnehmen. Das ist gewissermaßen eingepreist. Auf der anderen Seite führen die Nicht-Einhaltung der „License to operate“ und enttäuschte Nachhaltigkeitserwartungen zur Abstrafung des Herstellers.

Welche Chancen geben Sie der biobasierten Flasche?

Sehr gute. Als das Konzept bei Coca-Cola in den USA entstand, war es der Start in eine Bioökonomie bei den Getränkeherstellern. Der anfängliche Fokus lag auf dem Verzicht von ölbasierten zugunsten von nachwachsenden Rohstoffen. Allerdings muss auch eine biobasierte Flasche nach Gebrauch gesammelt und dem Recycling zugeführt werden. Die fortschreitende technische Entwicklung wird den Zugang zu nachwachsenden Rohstoffen weiter verbessern und eine vollständig biobasierte Kunststoffflasche zu konkurrenzfähigen Kosten ermöglichen. Die nachhaltige Kunststoffflasche wird künftig aus einem Mix aus Rezyklat und biobasiertem Kunststoff bestehen. Ob es sich dabei um PET, PEF oder einen noch in den Laboren zu erfindenden Kunststoff handelt, wird die Zukunft zeigen. Eine Drop-in-Lösung wird aber die Einführung in jedem Fall erheblich vereinfachen.

Das Interview führte KHS-competence-Redakteur Stuart J. Nessbach