Anatomie des Gerstenkorns
Eine herausragende Erfinder- und Fabrikantenpersönlichkeit war Lorenz Adalbert Enzinger (1849 – 1897), einer der ‚großen Ahnen‘ der heutigen KHS. Sein unglaublicher Erfolg fiel ihm jedoch keineswegs in den Schoß, sondern war das Ergebnis harter Arbeit – und forderte einen hohen Preis.
Noch heute würdigt ihn die Fachwelt als den „Einstein des Bieres“ und erkennt an, dass Lorenz Adalbert Enzinger das Brauereiwesen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts epochal verändert hat. 1878 erfindet er in Worms den Bierfilter, der sich nur sieben Jahre später schon tausendmal verkauft und der im Prinzip bis heute Bestand hat.
Die Leidenschaft für Bier wird Lorenz Adalbert Enzinger schon in die Wiege gelegt: Als Sohn des bayerischen Bierbrauers Johann Baptist Enzinger wird er am 22. April 1849 in Wasserburg am Inn geboren. Bevor er zur Ausbildung in die väterliche Brauerei eintritt, besucht er zunächst die Gewerbeschule in München. Nach der Lehrzeit in Wasserburg und dem Besuch einer der ersten Fachschulen Deutschlands in Augsburg macht er sich schließlich auf den Weg nach Worms, das damals mit rund einem Dutzend Brauereien und zwei Brauerschulen eine echte Bierstadt ist. Eine der beiden Weiterbildungseinrichtungen ist die international bekannte Brauerakademie von Conrad Schneider, einem in seiner Branche geschätzten Pionier, dessen Assistent Enzinger bald wird.
Mit der Erfindung des Bierfilters revolutionierte Lorenz Adalbert Enzinger die Braukultur. Erstmals gelang es damit, Trubstoffe wirkungsvoll aus dem Bier zu filtrieren und dieses dadurch haltbarer zu machen.
Alles dreht sich für ihn nun um Bier und dessen Herstellung. Enzinger veröffentlicht ein wissenschaftliches Buch mit dem Titel „Die Anatomie des Gerstenkorns und die Vorgänge beim Wachstumsprozess“. Er beschäftigt sich intensiv mit mikroskopischen Arbeiten und nimmt den Gerstensaft unter die Lupe, um die Ursache für dessen Trübung aufzuspüren. Dabei kommt er zu der Erkenntnis, dass sich diese Beeinträchtigungen durch Filtration mit Papieren verschiedener Stärken und Strukturen entfernen lassen. In einer von ihm selbst geplanten Versuchsbrauerei führt er entsprechende Tests durch, die so erfolgreich verlaufen, dass er seinen Bierfilter am 4. Juni 1878 beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin anmeldet. Enzinger spricht mit Brauereifachleuten aus der Umgebung und verkauft die ersten Filter. 1879 schließlich gründet er sein eigenes Unternehmen und veröffentlicht ersten Katalog.
Maßgeblich für den enormen wirtschaftlichen Erfolg von Enzinger war nicht nur die Innovationskraft seiner Erfindungen, sondern insbesondere deren beharrliche Präsentation auf Ausstellungen und in der Fachpresse.
Gefeierter Erfinder
Hartnäckig präsentiert er seinen Bierfilter, aber auch seine ersten isobarometrischen Fass- und Flaschenfüller auf Ausstellungen, zum Beispiel im Rahmen des Brauertages im Juli 1880 im Münchener Glaspalast. So bahnbrechend ist seine Erfindung, dass die Fachpresse auf ihn aufmerksam wird und für seine Innovation feiert: „Ein Apparat, der unfehlbar klares Bier macht, also mehr kann als mancher Brauer, soll derselbe nicht als Wunder angestaunt und muss er nicht von – leider – so vielen als Erlöser begrüßt werden?“, fragt etwa die ‚Allgemeine Zeitschrift für Bierbrauerei und Malzfabrikation‘.
Am 1. September 1886 liefert Enzinger den tausendsten Filter aus – Grund genug zu feiern: 200 geladene Gäste werden mit einem Sonderzug von Worms zu einer eigens im nur sieben Kilometer entfernten Pfeddersheim eingerichteten Haltestelle gefahren, ganz in der Nähe der Fabrik. Dort werden sie durch die festlich geschmückten Hallen geführt, bevor um 18 Uhr besagter, mit Kränzen versehene Filter auf einem Pferdefuhrwerk durch die Reihen der Feiernden gefahren und mit donnernden Hochrufen gefeiert wird.
Kein Zweifel: Enzinger hat es geschafft. Sichtbarer Ausdruck seines Erfolgs ist neben den weitläufigen Produktionsanlagen auf der grünen Wiese auch die neubarocke, großbürgerliche Villa, die er sich von dem Mannheimer Semper-Schüler Wilhelm Manchot in einem noblen Wormser Stadtteil errichten lässt. Sie beeindruckt nicht nur mit ihrer prächtigen Fassade, sondern vor allem durch eine ausgefallene und aufwendige Haustechnik: Da es in Worms 1886, im Jahr der Fertigstellung der Villa Enzinger, weder eine zentrale Wasser- noch eine kommunale Elektrizitätsversorgung gibt, gehören zur Anlage ein Wasserturm sowie ein Maschinenhaus mit zwei Dampfmaschinen. Als 1889 im Beisein des Kaisers Wilhelm II. das städtische Wormser Festhaus eingeweiht wird, springt Enzinger mit seiner privaten Stromerzeugungsanlage ein und sorgt für den angemessenen Lichterglanz.
Erste Konkurrenz
In den Jahren darauf baut Enzinger sein Sortiment aus und entwickelt seine Apparate immer weiter, ohne jedoch etwas am Grundprinzip zu verändern. Erst als der Massefilter auf den Markt kommt, dessen Filtermedien anders als das von Enzinger verwendete Papier nach Gebrauch gewaschen und wiederverwendet werden können, sieht sich der Wormser Unternehmer ernsthafter Konkurrenz ausgesetzt. Er zögert jedoch nicht lange und baut 1892 ebenfalls einen Massefilter, dessen Konstruktion sich deutlich vom Wettbewerb unterscheidet. Enzinger findet damit großen Anklang bei den Brauern – und hat die Nase erneut vorn.
Nach dem Tod Enzingers wird das Unternehmen unter der Leitung seines Sohnes Karl in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und nennt sich fortan „Filter- und Brautechnische Maschinenfabrik Actien-Ges. vormals L. A. Enzinger“.
Inzwischen hat Enzingers ältester Sohn Karl die Realschule abgeschlossen und ist in das Unternehmen eingetreten. Er übernimmt die Aufgabe, den Auftritt der Firma auf der Weltausstellung 1893 in Chicago vorzubereiten. Karl Enzinger beaufsichtigt die Herstellung und Montage der Ausstellungsmaschinen – von dem neuen Massefilter in verschiedenen Größen über Filtermasse-Waschmaschinen, Luftdruckregler und isobarometrische Fass- und Flaschenfüller bis hin zu Flaschenreinigungsmaschinen. Tatsächlich wird die Teilnahme in den USA ein fulminanter geschäftlicher Erfolg: Enzinger wird gleich vierfach mit höchsten Auszeichnungen bedacht, und seine Beteiligung an der Weltausstellung bringt dem Unternehmen weltweite Beachtung ein.
Hoher Preis
Für seinen Aufstieg bezahlt Lorenz Adalbert Enzinger jedoch einen hohen Preis: Seine Frau Minna, eine Nichte seines Mentors Conrad Schneider, die an dem amerikanischen Triumphzug teilhaben sollte, erleidet nach den Anstrengungen der Überfahrt einen Herzinfarkt und stirbt im Alter von nur 39 Jahren. Enzinger verliert nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern auch eine engagierte Partnerin, zu deren Aufgaben die Werbung durch Annoncen gehörte und der er Generalvollmacht erteilte, wenn er länger verreist war.
Auch seine eigene Gesundheit steht unter keinem guten Stern: In den vielen Jahren des Inbetriebnehmens von Filtern und Abfüllanlagen in kalten Kellern hat er sich eine unheilbare Lungenkrankheit zugezogen. Am 5. Mai 1897 stirbt auch Lorenz Adalbert Enzinger – er wird nur 48 Jahre alt.