Climeworks - Direct Air Capture

Aus der Luft gegriffen

15.11.2021 ,

10 Min. Lesedauer

Im Gespräch erklärt Climeworks-CCO Daniel Egger, wie das Schweizer Unternehmen CO₂ aus der Atmosphäre filtert und damit den Klimawandel stoppen will. Das ebenso einfache wie bahnbrechende Konzept begeistert zunehmend globale Marken, prominente Investoren und die Politik.

Herr Egger, mit Direct Air Capture hat Climeworks eine revolutionäre Technologie entwickelt, um Kohlendioxid aus der Umgebungsluft zu binden. Wie funktioniert das Verfahren und welche (Abfall-) Produkte entstehen dabei?

Kern unserer Technologie ist ein Filtermodul, das in einer Metallbox mit zwei Meter Kantenlänge untergebracht ist. Darin befindet sich ein basisches Filtermaterial, das die Säure CO2 sehr selektiv aus der Atmosphäre entfernt und mit ihr eine schwache chemische Verbindung eingeht. Diese lässt sich – wenn das Filtermaterial gesättigt ist – durch Erhitzen wieder lösen. Den Prozess können wir so regulieren, dass ausschließlich CO2 aus der Luft gefiltert wird. Außer geringen Mengen an reinem Wasser, die wiederverwertet werden können, entstehen keine Abfallprodukte. Der durch die Filterung gewonnene Kohlenstoff gilt als Universalbaustoff der Chemie schlechthin: Man benötigt ihn für die Herstellung von Kunst- und Treibstoffen oder als Grundchemikalie für die Weiterverarbeitung. CO2 wird außerdem in der Lebensmittelverarbeitung genutzt, zum Beispiel für Getränke, oder in Form von Dünger für Gewächshäuser. Selbst Diamanten können Sie daraus herstellen.

In welcher Form liegt das CO2 vor, nachdem Sie es aus der Luft gefiltert haben?

Es ist gasförmig und bei atmosphärischem Druck circa 20 bis 25 Grad Celsius warm. Aus einer von unseren Anlagen wird es beispielsweise durch eine Pipeline in ein Gewächshaus gepumpt, ansonsten wird es für den Transport heruntergekühlt, verflüssigt und komprimiert. In Island, wo wir CO2 mit unserem Partner Carbfix in den Basaltboden einspeichern, mischen wir dem Gas Wasser als Transportmittel bei. Dadurch entsteht eine Art hochkonzentriertes Sprudelwasser, das einige hundert Meter in die Tiefe gepumpt wird. Dort reagiert es mit dem vulkanischen Gestein und bildet Calciumcarbonate, die man sich vorstellen muss wie die weißen Streifen in Marmor. Durch die Hitze und durch die besondere Zusammensetzung des Basalts versteinert das Gas, was normalerweise hunderttausende von Jahren brauchen würde, in nur zwei Jahren.

»Hier muss sich eine Industrie ganz neu entwickeln, komplett mit Zulieferern und Logistik.«

Daniel Egger

Chief Commercial Officer, Climeworks

Wie kommt man auf die Idee, CO2 aus der Luft zu filtern und einer weiteren Verwendung zuzuführen?

Ursprünglich war es eine Herausforderung der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, synthetische anstelle von fossilen Treibstoffen herzustellen. Bei der Frage, woher der dafür benötigte Kohlenstoff kommen soll, hat man festgestellt, dass die bestehenden Quellen hinsichtlich der erforderlichen Skalierung nur eingeschränkt oder nicht geeignet waren. Man könnte natürlich Bäume nehmen und daraus Biotreibstoff machen, aber die Menge an verfügbarem Material ist nicht ausreichend. Die einzige unerschöpfliche Kohlenstoffquelle ist das CO2 aus der Luft. Das ist der Ausgangspunkt für die Idee der beiden Gründer, damals noch Studierende der ETH. Technologien dafür existieren genaugenommen schon sehr lange – sie wurden zum Beispiel in U-Booten oder Raumschiffen eingesetzt, um die CO2-Konzentration in der Atemluft zu reduzieren. Aber natürlich sind sie hier nicht in einer Größenordnung anzutreffen, die nötig ist, um das Klimaproblem zu lösen.

Welche besonderen Meilensteine – und Rückschläge – gab es auf dem Weg zum heutigen Status?

Rückschläge erleben wir jeden Tag, wenn Sie in technischer Innovation und Marktentwicklung unterwegs sind (lacht). Aber im Ernst: Jeder Schritt zurück motiviert uns, zwei Schritte nach vorne zu gehen. Zu den bisher größten Meilensteinen gehörte ohne Zweifel die Eröffnung unseres Standorts in Hinwil bei Zürich vor vier Jahren, wo wir zum ersten Mal zeigen konnten, dass Direct Air Capture im industriellen Maßstab funktioniert. Ein weiteres wichtiges Zeichen war sechs Monate später die Inbetriebnahme der bereits erwähnten ersten kleinen Anlage in Island. Im Oktober 2018 veröffentlichte der Weltklimarat seinen „Sonderbericht 1,5 °Celsius globale Erwärmung“. Das war für uns ein Highlight von zentraler Bedeutung, auch wenn wir nicht unmittelbar daran beteiligt waren: Die Publikation stellte zum ersten Mal klar, dass unsere Technologie gebraucht wird. Das hat das Interesse und die Nachfrage maßgeblich gestärkt – und ermöglicht uns, diese Lösung schneller weiterzuentwickeln und in großem Maßstab bereitzustellen. Ein ganz aktueller Meilenstein schließlich ist die im vergangenen Sommer erfolgte Inbetriebnahme von „Orca“. Unsere zweite Anlage am Standort in Island ist mit einer Kapazität von jährlich 4.000 Tonnen CO2 die bisher größte Klimaschutzanlage der Welt.

Mit dem Bau der ersten Anlage im schweizerischen Hinwil hat Climeworks vor vier Jahren bewiesen, dass die Technologie im industriellen Maßstab funktioniert.

Wie begeistert man Investoren für eine so bahnbrechende Idee?

Wenn man eine Technologie entwickelt, die über das Potenzial verfügt, den Klimawandel zu stoppen, ist das Vision genug. Schließlich handelt es sich dabei um die größte Herausforderung der Menschheit. Daran glauben unsere Investoren und begleiten uns auf diesem Weg.

Wie realistisch ist es anzunehmen, dass Climeworks angesichts eines weltweiten Ausstoßes von jährlich 37 Milliarden Tonnen CO2 mit seinem Verfahren und seinem Geschäftsmodell einen nennenswerten Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung leistet?

Zunächst müssen wir unsere Emissionen drastisch reduzieren – daran führt kein Weg vorbei. Um die unvermeidbaren Emissionen, die sich aus technischen oder anderen Gründen nicht abstellen lassen, kann sich eine Technologie wie Direct Air Capture kümmern. Schätzungen gehen bis 2050 von einem Volumen zwischen fünf und zehn Milliarden Tonnen pro Jahr aus. Das ist eine große Herausforderung, für die in unserer Industrie jährliche Wachstumsraten von 60 Prozent nötig sind. Wenn wir das mit der Windenergie und ihren 30 bis 35 Prozent vergleichen, ist das zwar anspruchsvoll, aber nicht unmöglich. Schließlich benötigen wir keine Materialien oder Ressourcen, die uns in eine Beschränkung führen würden, und keine grundsätzlichen neuen Komponenten, wie das etwa bei der Photovoltaik der Fall war. Insofern ist die erforderliche Skalierbarkeit von Direct Air Capture gegeben.

Eine solche Mammutaufgabe müssen Sie sich doch mit Wettbewerbern teilen, oder?

Absolut. Neben unserem Haupt-Marktbegleiter Carbon Engineering in Kanada sind derzeit noch ein paar andere Unternehmen im Kommen, und das ist auch notwendig. Hier muss sich eine Industrie ganz neu entwickeln, komplett mit Zulieferern und Logistik – in ihren Dimensionen vergleichbar etwa mit der heutigen Öl- und Gasindustrie. Außerdem benötigen wir regulatorische Voraussetzungen. Dazu zählt vor allem die Bepreisung von CO2-Emissionen in der Größenordnung zwischen 100 und 200 Euro pro Tonne, damit die Kohlendioxidentfernung bezahlt werden kann. Wenn dieser CO2-Preis nicht kommt, wird es kein Direct Air Capture geben und wir werden den Klimawandel nicht stoppen können. Im Moment sehen wir sehr viel Dynamik im regulatorischen Umfeld: Die Biden-Administration hat Direct Air Capture zu einer der Schlüsseltechnologien erklärt, die massiv ausgebaut werden soll, die EU hat es in ihre Strategiepapiere aufgenommen und in Deutschland steht in der neuesten PtL-Roadmap*, dass das CO2 aus der Luft kommen muss. Die Weichen werden also jetzt gestellt.

*PtL-Roadmap = Power-to-Liquid-Roadmap. Plan der deutschen Bundesregierung, bis 2030 mindestens 200.000 Tonnen strombasiertes Kerosin im deutschen Flugverkehr zu nutzen.

Müssen unsere Städte künftig mit Ihren Filtermodulen zugebaut werden, um den Klimawandel zu stoppen?

Das steht nicht zu befürchten. Der Standort unserer Anlagen ist von zwei Faktoren abhängig. Erstens: Was machen Sie mit dem CO2? Wenn Sie in Zürich eine Million Tonnen des Gases einsammeln würden, müssten Sie für den Abtransport alle fünf Minuten einen 40-Tonnen-Lkw durch die Stadt schicken. In dicht besiedelten Gebieten ist das nicht realistisch. Zweitens: Haben sie genügend erneuerbare Energien, um ihre Anlage betreiben zu können? Der Vorteil unserer Technologie ist, dass sie nicht ortsgebunden ist. Das heißt, dass wir die Orte aussuchen können, die uns die besten Voraussetzungen bieten. Und ja, es stimmt, dass unsere Anlage in Hinwil noch eher „ingenieurlastig“ gestaltet ist (lacht). Unser jüngstes Projekt „Orca“ sieht dagegen schon viel ansprechender aus und wurde sogar mit einem Designpreis ausgezeichnet.

»Wir arbeiten jeden Tag an der Weiterentwicklung unserer Technologie und an der Verbesserung ihrer Wirtschaftlichkeit.«

Daniel Egger

Chief Commercial Officer, Climeworks

Wie erfolgreich sind Ihre Bestrebungen, Ihre Kapazitäten auszuweiten und die Kosten zu senken?

Im Moment liegt unser Fokus darauf, unsere Technologiekosten zu reduzieren. Ein weiterer Schritt ist es, Skalierungspotenziale auszuschöpfen, indem wir größere Anlagen bauen, die geringere Kosten verursachen als kleine. Und schließlich erwarten wir einen positiven Effekt insbesondere durch das bereits beschriebene Wachsen einer Industrie, einer spezialisierten Zulieferindustrie – das liegt jedoch definitiv nicht mehr in unserer Hand. Aber die Weiterentwicklung der Technologie und die Verbesserung ihrer Wirtschaftlichkeit sind große Aufgaben, an denen die Climeworks-Ingenieure jeden Tag arbeiten, um das Produkt zu verbessern.

Das CO2, das Sie aus der Atmosphäre herausholen, wird in der Schweiz beispielsweise von Coca-Cola innerhalb der Getränkeabfüllung genutzt. Können Sie Ihre Zusammenarbeit bitte beschreiben?

Coca-Cola HBC Schweiz ist schon sehr lange ein enorm wichtiger Partner für uns. Das Unternehmen nimmt aus unserer Anlage in Hinwil CO2 ab, um sein Valser Mineralwasser zu karbonisieren (siehe Kasten „Erfrischender Rückenwind“). Als globale Marke ist Coca-Cola natürlich ein Kunde, dessen Renommee auf uns abstrahlt wie ein Qualitätssiegel. Andererseits muss man, um im Zertifizierungsprozess des US-Getränkekonzerns zu bestehen, seine Prozesse und sein Qualitätsmanagement im Griff haben. In diesem Zusammenhang haben wir sehr viel gelernt, was uns erheblich weitergebracht hat.

Was passiert mit dem CO2, wenn der Verbraucher die Valser-Flasche öffnet?

Es entweicht in die Luft. Die Vorstellung, dass man etwas erst einfängt, um es dann wieder in die Atmosphäre zu entlassen, verwirrt viele Menschen. Aber hier muss man betrachten, wo das Gas sonst herkommt. Meistens ist es fossilen Ursprungs – im besten Fall aus gereinigten Industrieab- oder -beigasen. In Gegenden ohne Kohlendioxidquelle werden jedoch fossile Rohstoffe verbrannt, um CO2 herzustellen. Insofern reduziert unsere Technologie in diesem Zusammenhang die Emissionen.

Climeworks-Gründer Christoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher vor ihren Direct-Air-Capture-Filtermodulen in Hinwil in der Schweiz.

Ehrgeiziges Ziel - Climeworks

Im Rahmen ihres Maschinen­baustudiums und der anschließenden Promotion beschäftigen sich die beiden Deutschen Christoph Gebald und Jan Wurzbacher im Labor­maßstab mit Technologien zur chemischen und physik­alischen CO₂-Entfernung aus der Umgebungsluft. Im November 2009 gründen sie Climeworks als Spin-off der Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Heute ist das Unternehmen mit kommerziellen Anlagen in der Schweiz und in Island weltweit führend in der Direct-Air-Capture-Technologie. Climeworks’ Vision ist es, eine Milliarde Menschen dazu zu inspirieren, CO₂ aus der Luft zu entfernen.

climeworks.com

CLIMEWORKS UND COCA‑COLA: Erfrischender Rückenwind

Im Jahr 2011 wird Patrick Wittweiler, Country Sustainability & QSE Manager bei Coca‑Cola HBC Schweiz, erstmals auf das noch sehr junge Unternehmen Climeworks aufmerksam. Von deren bahnbrechender Idee des Direct Air Capture lässt er sich sofort begeistern. Innerhalb des Coca‑Cola -Systems versucht er Unterstützer dafür zu gewinnen, aus der Luft gewonnenes CO2 für die Karbonisierung von Getränken zu nutzen. Das gestaltet sich nicht ganz einfach, stellt der Konzern doch extrem hohe Qualitätsanforderungen insbesondere an die Inhaltsstoffe seiner Produkte.

Als nach vielen Monaten erste Proben aus einer Pilotanlage zur CO2-Analyse in die Unternehmenszentrale nach Atlanta geschickt werden, sehen die Ergebnisse vielversprechend aus. In der Folge wird Coca‑Cola HBC Schweiz zwar nicht selbst als Investor aktiv, stellt sich aber an die Seite von Climeworks, indem man gegenüber Behörden, Investoren und potenziellen weiteren Kunden sein Interesse am Projekt betont. Das kommt gut an und gibt den Gründern Auftrieb.

Nachdem 2017 am Standort Hinwil die erste Direct-Air-Capture-Anlage im kommerziellen Maßstab entstanden ist, wird die Geschäftsbeziehung konkreter. „Die größte Herausforderung war, dass hier ein kleines Start-up mit riesigen Ambitionen einem Weltkonzern gegenüberstand“, erinnert sich Wittweiler. „Da trafen zwei grundverschiedene Kulturen aufeinander. Der erste Vertragsentwurf von Climeworks umfasste zum Beispiel nur drei Seiten, das finale Dokument mehr als 100.“ Die erste Lieferung des aus der Luft gewonnenen Kohlendioxids erfolgt schließlich im Februar 2019 an den Abfüllbetrieb in Vals, zu dessen klarer Nachhaltigkeitsstrategie das klimaschonende Konzept, CO2 aus der Umgebungsluft zu holen, perfekt passt.

In der Zwischenzeit wurden mehrere 100 Tonnen aus der Atmosphäre gefiltertes CO2 mit dem Valser Mineralwasser in Flaschen gefüllt. Zwar habe es großer Beharrlichkeit bedurft, alle Stakeholder im Unternehmen davon zu überzeugen, stellt Wittweiler fest, aber heute ist er extrem stolz darauf, dass Coca‑Cola HBC Schweiz Geburtshelfer für eine Technologie sein konnte, die heute schon in aller Munde ist und sich schnell zu einem globalen Trend entwickeln wird – davon ist der Nachhaltigkeitsmanager überzeugt.