Charlie Papazian, Homebrewer und Buchautor
Auf die Gründung eines eigenen Unternehmens hat Papazian verzichtet, um sich nicht dem Druck auszusetzen, seine Produkte verkaufen zu müssen.
Dass es in manchen Ländern überhaupt keine Bierkultur gibt, erstaunt Papazian auf seinen Reisen immer wieder.
Einerseits ein Bierexperte par excellence, ist Charlie Papazian andererseits durchaus zu Späßen aufgelegt.

Wie kamen Sie als Nukleartechniker dazu, sich mit Bier und Brauen zu beschäftigen?

Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger studierte ich an der University of Virginia in Charlottesville. Zusammen mit ein paar Kommilitonen lernte ich jemandem kennen, der sein eigenes Bier braute. Bis dahin hatten wir noch nie davon gehört, dass man das selbst konnte – dementsprechend neugierig waren wir und wurden mit einer interessanten Erfahrung belohnt: Das Homebrew hatte Charakter und schmeckte viel besser als das billige Bier, das wir Studenten uns leisten konnten und das mir noch nie besonders geschmeckt hatte.

Und das hat Sie gleich zur Nachahmung animiert?

Ja, genau. Ich habe mir das Rezept aufschreiben lassen – sechs Zeilen auf einer Postkarte. Das erste brauchbare Bier benötigte drei Anläufe. Für uns als künftige Ingenieure war es zugleich spannend und lustig, unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis umzusetzen, und wir erzielten respektable Ergebnisse. Schon bald blieb ich jedoch als einziger übrig, der das Thema ernsthaft verfolgte. Ich experimentierte und versuchte, das Bier immer besser zu machen. Dafür ersetzte ich zum Beispiel den Rohrzucker durch Dextrose oder die Backhefe durch richtige Bierhefe, die damals nicht leicht zu besorgen war. An der Uni fanden sich weitere Gruppen von Studenten, die ebenfalls ins Brauen einstiegen. Sehr früh stellten wir fest, wie viel Spaß es machte, sich über den neuen Biergenuss auszutauschen. Das war ein ganz entspanntes und friedliches Miteinander, aus dem sich schnell eine Art Gemeinschaftsgefühl entwickelte, sowohl in Charlottesville als auch in Colorado, wohin ich 1972 umzog.

Wie wurden Sie zu der Koryphäe für handwerkliches Brauen, als die Sie heute angesehen sind?

Hier in Boulder sprach sich schnell herum, dass ich wusste, wie man Bier braut. Man fragte mich, ob ich das nicht unterrichten wollte, und so gab ich insgesamt zehn Jahre lang Kurse in Homebrewing. Auch ich habe in dieser Zeit natürlich sehr viel gelernt und mein Know-how immer weiter ausgebaut. Es gab damals kaum Bücher, also schrieb ich ein sechsseitiges Pamphlet, das ich den Kursteilnehmern aushändigen konnte. Im Lauf der Jahre kamen immer mehr Informationen hinzu, bis ich schließlich ein ganzes Buch verfasst hatte, den Vorläufer von ‚The Complete Joy of Brewing‘, das sich in den vergangenen 35 Jahren rund 1,5 Millionen Mal verkauft hat.

Im Lauf seiner langen Karriere als Vater des Homebrewing hat Charlie Papazian zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
Im Lauf seiner langen Karriere als Vater des Homebrewing hat Charlie Papazian zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

Woher kam die Inspiration, mit Geschmacksrichtungen zu experimentieren?

Eine besondere Inspirationsquelle war der britische Autor Michael Jackson, der 1977 den ‚World Guide to Beer‘ veröffentlichte. Hier wurde mir erstmals bewusst, dass es so etwas wie Fruchtbiere, Lambic* oder ähnlich exotische Biere gab. Manchmal brachten meine Freunde von ihren Reisen nach Deutschland oder Belgien eine Auswahl an Bieren mit, zum Beispiel ein Pilsner, ein Helles oder ein Rauchbier aus Bamberg. Auch der Austausch untereinander spielte natürlich eine Riesenrolle. Wir waren halt Verrückte, die alles Mögliche ausprobierten und sich gegenseitig mit Ihrer Begeisterung und Neugier ansteckten. Erlaubt war, was uns schmeckte, und so haben wir Zitronengrastee, Orangenschalen, Schokolade, Chilischoten oder Nelken ins Bier gegeben, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

* Lambic = Eine belgische Bierspezialität (auch Lambiek), die durch Spontangärung entsteht. 

Wie hat das Brauen Ihr Leben beeinflusst?

Für mich wurde das Thema vom Hobby zur Berufung und hat mein ganzes Leben bestimmt. Und umgekehrt ist es so, dass ich mit meiner Leidenschaft und Mission großen Einfluss auf mein Umfeld gehabt habe. Der Satz, den ich im ganzen Land am meisten höre, ist „Danke für dein Buch, Charlie. Es hat mein Leben verändert.“ Dabei spielte es keine Rolle, ob meine Leser beim Homebrewing blieben, Craftbrauer wurden oder sich im Bierbusiness engagierten. Mein Motto „Relax, don’t worry and have a Homebrew“ zeigte ihnen, dass sie etwas bisher nicht für möglich Gehaltenes vollbringen und damit erfolgreich sein konnten. Ich bin stolz darauf, dass für rund 95 Prozent aller Craftbrauer in den USA einer meiner Kurse oder mein Buch der Ausgangspunkt für ihre Karriere waren.

Können Sie sich erinnern, wo und wann der Begriff „Craftbeer“ zum ersten Mal auftauchte?

In den frühen Neunzigerjahren tauchte der Begriff in einem Artikel unseres Verbandsmagazins „The New Brewer“ auf. Mir gefiel das Wort, und ich habe es dann oft in meinen eigenen Veröffentlichungen benutzt und damit wohl dafür gesorgt, dass es sich als Gattungsbegriff einbürgerte. Zuvor hatte man nur von Mikrobrauereien gesprochen, deren Obergrenze beim jährlichen Ausstoß bei 5.000 Barrel** festgelegt wurde. Die Grenze verschob sich erst auf 10.000, dann auf 15.000 Barrel – und hielt so mit der rasanten Entwicklung Schritt. Wenn er noch mehr produziert, muss ein Brauer sein Geschäftsmodell allerdings grundlegend ändern, zum Beispiel hinsichtlich der Räumlichkeiten, Technologie und Logistik. Ab dieser Größe nennen wir es eine Regionale Brauerei. Allen gemeinsam ist jedoch die Bezeichnung Craftbrauerei, und fast wie eine Marke steht dieser Begriff für ein bestimmte Philosophie und ein gewisses Image.

** Barrel = 31, 5 Gallonen oder 119,2 Liter.

»Ein Bewusstsein für die Qualität, die Vielfalt und den Geschmack von Bier zu schaffen, war ein weiter Weg.«

Charlie Papazian
Homebrewer und Buchautor

In den USA ist Craftbeer längst ein eigener Industriezweig, der teils große Unternehmen mit einem riesigen Bierausstoß hervorbringt – wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich verwende im Zusammenhang mit Craftbeer-Brauereien lieber den Begriff Gemeinschaft – Industrie steht für mich eher für die großen internationalen Brauereikonzerne. Diese kommunizieren nicht miteinander, sondern verstehen sich eher als Rivalen. Ein wichtiges Thema unter Craftbrauern ist, dass man sich gegenseitig hilft. Man steht weniger miteinander im Wettbewerb als mit anderen Getränkekategorien. Beim Konsumenten ein Bewusstsein für Qualität, Vielfalt und Geschmack zu schaffen, war ein weiter Weg. Diesen zurückgelegt zu haben, hat uns wirklich zu einer Gemeinschaft zusammengeschweißt.

Wie haben sich Biertrinkgewohnheiten seit den Siebzigern verändert?

Kulturell haben sich viele Dinge verändert: Die ganze Idee heimischer und regionaler Erzeugnisse zum Beispiel, oder die Tatsache, dass mehr und mehr Menschen den Mehrwert von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln anerkennen. Hinzu kommt der wachsende Wohlstand, der immer mehr Verbraucher in die Lage versetzt, sich bessere Produkte leisten zu können. Diese Entwicklung ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich weit fortgeschritten. In den USA sind wir da bezogen auf Bier schon sehr weit. In Deutschland, wo das Reinheitsgebot noch sehr großes Gewicht hat, müsste man meines Erachtens den Wert von Vielfalt noch stärker schätzen lernen. Damit würde man sich mehr Freiraum für neue Biergenusserlebnisse schaffen – und neue Zielgruppen hinzugewinnen. Ich bin viel in Japan, Südostasien und Teilen Lateinamerikas unterwegs. Dort ist die Craftbeer-Szene zwar klein, aber ungeheuer vital.

Was hat Sie selbst daran gehindert, Ihre Biere in größerem Maßstab zu produzieren und zu vermarkten?

Wenn Sie ein Unternehmen gründen, geht es nicht mehr nur darum, Bier herzustellen. Sie müssen Menschen managen. Darin bin ich zwar gut, aber es ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Ich kenne viele Craftbeer-Kollegen, die bereuen, Unternehmer geworden zu sein, und die das eigentliche Brauen vermissen. Außerdem wollte ich mich nie dem Druck aussetzen, meine Produkte verkaufen zu müssen. In den Siebzigern bekam man für das Barrel 60 US-Dollar. Im Vergleich zu heute, wo in einem Craftbeer-Taproom pro Fass 600 bis 800 US-Dollar erlöst werden, war das extrem wenig – und keine Basis für ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell.

Zu Papazians Trophäen­sammlung gehört „Charlie 1981“ (Mitte) aus einer Serie von Bieren die ihm ein Braumeister widmete.
Zu Papazians Trophäen­sammlung gehört „Charlie 1981“ (Mitte) aus einer Serie von Bieren die ihm ein Braumeister widmete.

Würden Sie sagen, dass die handwerkliche Bierbewegung einen Einfluss auf die großindustriellen Brauereikonzerne hatte?

Oh ja! Spätestens als Miller Anfang der Achtziger ein Stout und wenig später ein Wettbewerber ein Honig-Lager auf den Markt brachten, war mir klar, dass die Großen verstanden hatten, dass Craftbeer keine Eintagsfliege war. Heute wird in den Pilotbrauereien der Konzerne sicher auch alles das ausprobiert, womit die handwerklich orientierten Kollegen experimentieren, aber vermutlich verhindern die Marketingabteilungen, dass es in den Supermarktregalen ankommt. Das Geschäftsmodell ist natürlich auf Masse ausgerichtet, und die Braukonzerne können es sich nicht erlauben, ihr Produktportfolio mit eigenen Craftbeer-Marken zu verwässern. Deshalb haben sie damit begonnen, Craftbrauereien aufzukaufen, um deren Marktpotenzial abzuschöpfen und zugleich dem Preisverfall ihrer Premiummarken etwas entgegenzusetzen.

Wie wird sich das Bier in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren verändern?

Es gibt heute so viele innovative und spezielle Biere, dass es schon mal schwierig sein kann, ein Münchner Helles, ein ganz normales IPA*** oder ein Britisches Ale zu bekommen. Diese eher traditionellen Bierstile, auf denen die Craftbeer-Bewegung ja ursprünglich aufgebaut ist, werden wiederkehren und uns unkomplizierte und trinkbare Qualitätsbiere bescheren. Die Zahl der Brauereien wird auch künftig wachsen, weil das Geschäftsmodell des kleinen unabhängigen Betriebes funktioniert. Gerade die Craftbrauereien geringerer Größe werden sich weniger als Marke verstehen, sondern ihr Umfeld und die Gemeinschaft, der sie angehören, stärker als Differenzierungsmerkmal reflektieren. Und schließlich wird es bei der Verpackung weitere Optimierungen geben, die zum Beispiel den Sauerstoffeintrag minimieren. Das ist sicher einer der Gründe dafür, dass zum Beispiel der Anteil an Dosenabfüllung aktuell wächst und das sicher auch weiterhin tun wird.

*** IPA = India Pale Ale, ein helles, stärker eingebrautes Pale Ale mit einem Alkoholgehalt von 6 bis 9 Prozent.

Was ist das nächste große Ding nach dem handwerklichen Bier?

Im Übrigen suggeriert Ihre Frage, dass sich das Phänomen Craftbeer seinem Ende zuneigt. Das Gegenteil ist der Fall – da bin ich absolut sicher. Hierzulande versucht man vor allem, den Konsumenten davon abzuhalten, einen Softdrink nach dem anderen zu trinken. Dem Megatrend Gesundheit entsprechend versuchen deshalb jetzt viele Brauer, alkoholreduzierte, alkoholfreie oder kalorienarme Biere herzustellen. In Deutschland ist das nichts Neues, aber hier in den USA stecken wir noch in den Kinderschuhen. Darüber hinaus sind gerade die neuen aromatisierten Seltzer****-Getränke groß im Rennen, insbesondere bei Brauereien, die damit ihre in Boomzeiten geschaffenen Überkapazitäten auslasten. Aber weder davon noch von alkoholfreiem Bier bin ich persönlich ein großer Fan.

**** Seltzer = Ein alkoholisches und vergleichsweise kalorienarmes Getränk (auch Hard Seltzer), das kohlensäurehaltiges Wasser, circa fünf Prozent Alkohol (aus Fermentierung) und häufig Fruchtgeschmack enthält.

Wie unterscheidet sich die Braukultur von einer Region zur anderen?

Auf meinen Reisen stelle ich immer wieder fest, dass es in manchen Ländern überhaupt keine Bierkultur gibt, von einem Verständnis für die Kunst des Brauens ganz zu schweigen. Entsprechend wird dort in erster Linie billiges und fades Bier ohne eigenständigen Charakter angeboten, obwohl es eigentlich ein riesiges Marktpotenzial für Geschmack und Vielfalt gibt. Allerdings liegt das nicht nur an unwissenden Konsumenten, sondern häufig auch an einer Gesetzgebung, die große Konzerne bevorzugt. In Thailand zum Beispiel bekommen Sie überhaupt erst eine Braulizenz, wenn Sie riesige Mengen Bier produzieren. Im kleinen Maßstab können Sie dort nicht legal brauen. Die thailändischen Kleinbrauer stellen ihr Bier deshalb in Laos oder Kambodscha her und bringen es dann zurück ins eigene Land – eine absurde Situation.

»Die eher traditionellen Bierstile werden wiederkehren und uns unkomplizierte und trinkbare Qualitätsbiere bescheren.«

Charlie Papazian
Homebrewer und Buchautor

Welche Einflüsse haben Sie am meisten inspiriert?

Ich bemühe mich, beim Brauen die Erinnerung an ganz besondere Erlebnisse etwa in Deutschland, Belgien, England oder auch in Asien zurückzurufen. So habe ich zum Beispiel mal ein helles Pils gebraut, das mich an einen Nachmittag in den Achtzigerjahren denken lässt, den ich unter Kastanienbäumen in einem bayrischen Biergarten verbracht habe. Oder ich mache ein dunkles Lager, dass mich an das ‚U Fleku‘ erinnert, ein historisches Brauhaus in Prag, das ich schon mehrmals besucht habe. Oder ein Irisches Stout, mit dem ich eine Reise nach Dublin assoziiere.

Ist Ihnen schon mal ein Bier richtig misslungen?

Ja, natürlich habe ich auch schon Fehler gemacht und das Bier ist dann verdorben. Ich habe aber auch schon handwerklich gute Biere gebraut, die mir dann einfach nicht geschmeckt haben. Einmal habe ich zum Beispiel ein Imperial Stout hergestellt, das ziemlich sauer war. Sauerbiere waren damals zwar im Kommen, aber ich bin kein großer Fan davon, es sei denn der Geschmack ist insgesamt ausgewogen. Ich hatte die Hoffnung, dass mein Stout anderen Leuten vielleicht schmeckt. Davon habe ich aber zu wenig gefunden (lacht) und musste deshalb das Bier schließlich leider wegschütten.

Verraten Sie uns, welches Ihr Lieblingsbier ist?

Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich lokale Sorten immer am besten finde. Bier schmeckt am besten, wenn es ganz frisch ist. Das habe ich in tausenden von Brauereien erlebt. Selbst wenn man eine Brauerei besucht, die einen weniger guten Ruf hat, wird das Bier vor Ort im Zweifel großartig schmecken – weil es nicht unterwegs war. Umgekehrt habe ich im ganzen Land schon namhafte Markenbiere getrunken, die alt und oxidiert geschmeckt haben. Das ist meist gar nicht die Schuld der Brauerei, sondern liegt daran, dass das Produkt vielleicht ungekühlt transportiert oder in Getränkemärkten verkauft wurde, die auch als Biermuseum dienen könnten.