Vor rund 50 Jahren nahm in Hamburg, heute die Heimat von KHS Corpoplast, die Geschichte einer besonderen Getränkeverpackung ihren Lauf: Erstmals wurden hier damals Plastikflaschen geblasen, die in den Achtzigerjahren zu einem beispiellosen Siegeszug um die ganze Welt antreten sollten. Bei Konsumenten wegen ihres geringen Gewichts und ihrer Unzerbrechlichkeit beliebt, von Unternehmen als ökonomische Alternative zur Glasflasche geschätzt, ist sie ökologisch nicht unumstritten. Grund genug für KHS competence, mit drei Experten über einen Behälter ins Gespräch zu kommen, der sich immer weiterentwickelt und deshalb noch lange nicht ausgedient hat.

»PET wies all die Vorzüge auf, die es erlaubten, extrem leichte Flaschen zu produzieren.«

Herr Seifert, was hat Sie vor über 50 Jahren veranlasst, Streckblasmaschinen für Plastikflaschen entwickeln und vermarkten zu wollen?

SEIFERT: Mein damaliger Arbeitgeber Heidenreich & Har­beck stellte in den Sechzigern Maschinen für die Holzverarbeitung her, speziell für die Fertigung von Furnieren. Mit dem Aufkommen von Kunststoffoberflächen wurde der Markt angesichts der billigeren ausländischen Konkurrenz zusehends schwieriger, sodass man sich gezielt nach ganz neuen Geschäftsfeldern umsah, unter anderem im Bereich der Kunststoffverarbeitung. Wir haben uns mit einem kleinen Team auf Kunststoffflaschen für große Abfüllmengen konzentriert, erst mal für Bier, das damals neben Kaffee und Mineralwasser das Hauptgetränk war.

Was führte schließlich zum Durchbruch?

SEIFERT: Anfang 1968 haben wir nach ersten Versuchen mit PVC das Patent für die Herstellung von Flaschen aus thermoplastischem Kunststoff angemeldet. Später wurde uns von DuPont, einem der weltweit größten Chemiekonzerne aus den USA, ein neues Material angeboten: Polyethylenterephthalat, kurz PET, für das sich DuPont 1970 ein Patent für die Anwendung in Flaschen gesichert hatte. Gegenüber PVC war es haushoch überlegen, unter anderem, weil es sich viel leichter selbst verfestigte. Dieser Werkstoff wies all die Vorzüge auf, die es bis heute ermöglichen, daraus extrem leichte Flaschen mit hervorragenden Eigenschaften zu produzieren.

Drei ausgewiesene PET-Experten präsentieren bei KHS in Hamburg die Früchte ihrer Arbeit (von links): Flaschendesignerin Claudia Schulte, Erfinder Karl-Heinz Seifert und Product Manager Arne Wiese.
Drei ausgewiesene PET-Experten präsentieren bei KHS in Hamburg die Früchte ihrer Arbeit (von links): Flaschendesignerin Claudia Schulte, Erfinder Karl-Heinz Seifert und Product Manager Arne Wiese.

War PET denn ein ganz neues Material?

SEIFERT: Nein, PET wurde damals schon in riesigen Mengen in der Textilindustrie eingesetzt. Für unsere Zwecke mussten – vereinfacht gesagt – nur die Moleküle auf eine andere Kettenlänge gebracht werden.

Und wie wurden aus dem Werkstoff PET dann die Flaschen?

SEIFERT: DuPont ist ja kein Maschinenbauer. Deshalb haben sie unseren amerikanischen Wettbewerber ­Milacron und uns parallel zwei Maschinen nebeneinander aufstellen lassen – mit einer Wand dazwischen, damit der eine nicht sehen konnte, was der andere macht.

Waren die PET-Flaschen die ersten Plastikflaschen auf dem Markt?

SEIFERT: Für karbonisierte Getränke – egal ob Bier, Limonade oder kohlensäurehaltiges Mineralwasser – gab es damals überhaupt noch keine Plastikflaschen. Für stilles Wasser waren PVC-Flaschen bereits üblich, beispielsweise in Frankreich. Aber anders als unsere waren diese nicht verfestigt und entsprachen damit nicht den Anforderungen, die kohlensäurehaltige Getränke hinsichtlich eines hohen Innendrucks an Behälter stellen.

Welches Marktsegment war denn das erste, das auf den Zug aufsprang?

SEIFERT: Als Anwendung schwebte uns Bier vor. Die Brauereien, mit denen wir gesprochen haben, waren nicht abgeneigt, aber skeptisch. In den USA zeigte sich allerdings schnell, dass die Bierindustrie doch kein Interesse hatte. Letztlich war es Pepsi-Cola, die als erste Marke mit einer PET-Flasche auf den Markt ging.

»›On the Go‹ ist ein massiver Trend, in dessen Folge die Behälter immer kleiner werden.«

Wie viel von den Corpoplast-Maschinen der ersten ­Generation hat bis heute Bestand?

WIESE: Eigentlich alles: der Rundläufer, die Heizung mit Infrarotstrahlung, wenn auch modifiziert, das gleichzeitig mit dem Anblasen stattfindende Recken. Die Grundprinzipien sind nach wie vor dieselben – wenn auch außerordentlich verfeinert.

SEIFERT: Schon allein, wie sich der Ausstoß gegenüber den ursprünglichen Zahlen vervielfachen würde, konnten wir uns damals überhaupt nicht vorstellen. 2003 betrug er je Kavität schon 1.800 Flaschen pro Stunde, inzwischen liegen wir bei 2.500. Oder denken Sie an das Gewicht der Flaschen: Unsere erste 48-Unzen-Flasche in den USA – das entspricht rund 1,5 Litern – wog damals rund 60 Gramm. Aktuell wiegen unsere karbonisierten Wasserflaschen in dieser Größe 24,5 Gramm – weniger als die Hälfte. Entsprechend groß ist die Materialeinsparung.

Ab welchem Zeitpunkt entstand die Umweltdebatte rund um die PET-Flasche?

SEIFERT: Von Anfang an gab es großen Widerstand gegen die Kunststoffflaschen. Umweltschützer wollten verhindern, dass der Einweganteil deutlich steigt, und wurden von der Glasindustrie maßgeblich unterstützt, die sich aus naheliegenden Gründen für die Verwendung von Glas-Mehrwegflaschen aussprach. Interessanterwei­se wurde dabei verschwiegen, dass viele Flaschen, etwa durch empfindliche Gewindemündungen, nur einen Bruchteil der möglichen Umlaufhäufigkeit erreichen. Für PET spricht, dass kein ­anderes Material so einfach zu recyceln ist. Allerdings musste man erst die ganze Recyclingkette aufbauen, und es dauerte noch etwas, bis der Wert der gebrauchten Flaschen deutlich wurde.

WIESE: Die leere PET-Flasche ist ein sehr wertvoller Rohstoff. Und je teurer das Rohöl wird, desto sinnvoller wird es, diesen Rohstoff nachhaltig zu nutzen, indem die Flaschen recycelt werden.

Welche Recyclingquoten erzielt die PET-Flasche und wie ist ihre Ökobilanz im Vergleich mit der Glasflasche?

WIESE: In Deutschland haben wir bei PET heute eine ­Bottle-to-Bottle-Recyclingquote von über 95 Prozent, das heißt, dass fast alle bei uns gebrauchten Flaschen innerhalb Europas wieder zu Flaschen werden. Letztes Jahr hat das Bundesumweltamt erstmals bestätigt, dass die Ökobilanz der PET-Einwegflasche aufgrund ihres geringeren Gewichts, ihres gestiegenen Recyclatanteils und ihrer kürzeren Distributionswege mit derjenigen der Glas-Mehrwegflasche gleichzieht beziehungsweise sie in einigen Kategorien sogar aussticht. Andere Länder sind noch nicht so weit. Zum Beispiel die USA: Hier gibt es nur sehr wenig Bottle-to-Bottle-Recycling, sondern mehr Bottle-to-Fibre, bei dem das PET in die Textilindustrie geht – soweit ich weiß mit einer Quote von bis zu 40 Prozent.

Wie hat sich das kritische öffentliche Bewusstsein ­gegenüber der PET-Flasche verändert?

WIESE: Speziell in Deutschland gibt es aktuell zwei vieldiskutierte Themen: Erstens gibt es Konsumenten, die nur aus der Glasflasche trinken, weil sie eine völlig unbegründete Angst davor haben, dass Chemikalien aus der Kunststoffflasche ins Getränk übergehen und von ihnen aufgenommen werden. Das zweite große Thema ist der sogenannte „Marine Litter“, die Verunreinigung der Weltmeere mit Kunststoff. Für über 50 Prozent davon sind die fünf Länder China, Indonesien, Philippinen, Vietnam und Thailand verantwortlich, wo Wirtschaft und Wohlstand stark wachsen, die Abfallwirtschaft aber hinterherhinkt. In diesen Ländern wird leider bisher wenig über den Plastikabfall im Ozean diskutiert – am meisten wird dort über das Thema gesprochen, wo am wenigsten Müll anfällt.

Wo sehen Sie am ehesten Wachstumspotenzial für die PET-Flasche?

WIESE: Dairy ist ein zunehmend wichtiges Thema für PET. Der größte Wachstumsmarkt aber ist ganz klar Wasser – zwar nicht in Europa, aber in Afrika und der gesamten südlichen Hemisphäre, in der die Wasserversorgung immer schlechter wird und man Leitungswasser nicht mehr trinken kann. Auch in China geht man inzwischen so weit, dass selbst das Wasser für den Abwasch aus 50-Liter-Containern gezapft wird.

»Die PET-Flasche war schon immer viel besser als ihr Ruf.«

Welche Ansprüche stellen Getränkehersteller und Verbraucher an eine moderne Flasche – auch unter dem Stichwort Marke?

WIESE: Beim Hersteller sind das in erster Linie Kostenansprüche sowie ästhetische und vor allem funktionale Ansprüche: Das Produkt muss problemlos über die Linie laufen und in einwandfreiem Zustand im Supermarkt ankommen.

SCHULTE: Damit ich als Verbraucher eine Flasche kaufe, muss sie nicht nur ein Behälter sein, sondern ein Produkterlebnis vermitteln. Von einer Topmarke erwarte ich etwas ganz anderes als von einem Discounter-Produkt. Ein gutes Handling und funktionierender Produktschutz werden aber bei beiden als selbstverständlich vorausgesetzt; darüber denkt der Kunde überhaupt nicht nach, solange alles stimmt. Wenn das mal nicht der Fall ist, fällt es umso stärker auf die Marke zurück. Deshalb sind auch diese weniger sichtbaren Kriterien für die Konstrukteure und Designer ganz entscheidend.

PET-Flaschen

Anteil am Verpackungsmix 2002–2016

Quelle: Euromonitor

Welche Konsequenzen hat das für das Flaschendesign und für die Flaschenform?

SCHULTE: Bei einer extrem leichten Flasche muss ich ein ganz anderes Design zugrunde legen als bei einem Behälter mit höherem Gewicht und höherer Stabilität – hier kann ich mit anderen Formen spielen. Gerade am Flaschenhals lässt sich eine Menge an Gewicht einsparen.

WIESE: Oder man muss für ein besonderes Design bewusst mehr Gewicht zur Verfügung stellen, zum Beispiel für eine vom Zylinder abweichende Form, die nur durch eine dickere Wandstärke unter Druck formstabil bleibt.

SEIFERT: Der ideale Druckbehälter wäre eigentlich eine Kugel …

SCHULTE: Die lässt sich aber schlecht stapeln (lacht). Was uns zu einem Punkt bringt, den wir noch nicht angesprochen haben: die Logistik. Für den Hersteller ist es eine zentrale Frage, wie viele Flaschen er auf eine Palette und in einen LKW bekommt – das muss beim Design berücksichtigt werden.

Was macht aus Ihrer Sicht eine richtig gute Flasche aus?

SCHULTE: Wenn der Konsument eine Flasche sieht, muss er denken: „Wow! Die will ich haben.“ Das kann sich natürlich von Kategorie zu Kategorie unterscheiden und betrifft nicht nur die Flaschenform, sondern auch das Label – eben die Flasche als Ganzes.

SEIFERT: Egal ob für den Discounter oder für das High-End-Produkt, die Flasche muss immer gleichförmig tech­nisch perfekt sein.

WIESE (lacht): Um etwas anderes zu sagen: Eine richtig gute Flasche macht aus, dass auf ihrer Unterseite das KHS-Logo steht.

Welche aktuellen Trends gibt es unter technologischen und Design-Aspekten?

WIESE: Es geht weiterhin um Gewicht, Ökologie und Kosten. Diese Faktoren müssen mit dem Design eine perfekte Balance eingehen – das ist die Erwartungshaltung an die Flasche. Beim Flaschenkörper sind wir zum Beispiel hinsichtlich der Gewichtsreduzierung an einer Leistungsgrenze angelangt. Deshalb machen wir uns jetzt Gedanken über das Gewinde, auch wenn es sicher noch einige Zeit dauern wird, bis man sich hier auf neue Standards einigen kann.

SCHULTE: Aus Design-Sicht beurteile ich Trends immer für die Flasche als Ganzes – also einschließlich des Etiketts. Lange Zeit gab es den „Homemade“-Trend, bei dem alles nach kleinem Abfüller oder Manufaktur aussah. Davon setzen sich jetzt viele mit ganz reduziertem Design ab. Eine weitere Richtung sind aktuell sehr fantasievolle, märchenhafte Gestaltungen, eine Art Storytelling, bei dem um ein Produkt herum eine ganze Welt aufgebaut wird. Bei den Behälterformen geht der Trend zu den schlichteren geraden Flaschen.

WIESE: Nicht vergessen dürfen wir auch ganz neue Produktkategorien: „On the Go“ ist ein massiver Trend mit riesigem Einfluss auf die Flaschengröße: Die Behälter werden immer kleiner.

Ihre Entwürfe für neue Flaschen zeichnet Schulte grundsätzlich mit dem Layoutmarker auf Papier, um im ersten Schritt den Entwurfscharakter zu betonen.
Ihre Entwürfe für neue Flaschen zeichnet Schulte grundsätzlich mit dem Layoutmarker auf Papier, um im ersten Schritt den Entwurfscharakter zu betonen.

Haben Sie hinsichtlich des Stichwortes Digitalisierung bestimmte Erwartungen an die Entwicklung der Flasche?

WIESE: Coca-Cola hat in diesem Bereich mit der Flasche, die den Namen des Kunden trägt, eine Benchmark gesetzt. Das war eine Aktion, die viel Geld gekostet hat, aber auch für einen Riesenumsatz sorgte. In dieser Richtung wird sicher sehr viel passieren. Wir sehen immer mehr personalisierte Werbung, und das werden wir sicher auch im Verpackungsdesign wiederfinden.

SCHULTE: Interessant ist in diesem Zusammenhang die Rolle der sozialen Medien: Viele Designflaschen werden gerne präsentiert, indem junge Leute sich bei Instagram oder Facebook mit einem besonders stylischen Wasser im Arm zeigen. Das ist eine Kommunikationsebene, die es bisher so nicht gab und die wir in Zukunft nicht vernachlässigen sollten, gerade wenn es um Premiumprodukte geht.

Wie sehen Sie die Zukunft der PET-Flasche mittel- und langfristig? Was kann diese aus ihrer Vergangenheit für die Zukunft lernen?

WIESE: Mittelfristig gibt es zur PET-Flasche überhaupt keine Alternative. Langfristig zeichnet sich ab, dass neue und leichtere Werkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen an Bedeutung gewinnen, die vielleicht noch bessere Barriereeigenschaften aufweisen oder besser in der Selbstverfestigung sind. Beim Recycling muss dafür ein zweiter paralleler Stoffstrom aufgebaut werden. Die ersten Ideen dafür sehen wir am Horizont, und auf lange Sicht könnte dieses Material PET ablösen.

SCHULTE: Was wir lernen können, ist, von Anfang an viel intensiver und besser mit dem Verbraucher zu kommunizieren. Die PET-Flasche war schon immer viel besser als ihr Ruf – viele Tatsachen sind den Kunden aber bis heute einfach nicht bekannt. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir über neue Werkstoffe aufklären – im Positiven wie im Negativen. Wäre damit bei PET früher begonnen worden, hätte man viele Probleme nicht gehabt.

SEIFERT: Das stimmt, aber heute wissen wir natürlich auch viel mehr als damals.