Wie leistungsfähig die KHS-Verpackungsspezialisten in Kleve sind, ist schon an ihrem Output abzulesen. So verlassen jährlich 145 Maschinen die Produktionshallen am Niederrhein – mit steigender Tendenz: In Stoßzeiten wird auch schon mal eine Maschine pro Tag auf LKWs verladen. Wer hier ein Saisongeschäft vermutet, liegt nicht ganz falsch: In der Regel rüsten sich Getränkehersteller vor den verkaufsstarken Sommermonaten technisch auf, bevor sie sich in der Saison fast ausschließlich auf die Abfüllung und Auslieferung ihrer Produkte konzentrieren. „Diese Peaks, die wir deshalb von November bis April erleben, werden immer extremer“, erklärt Karl-Heinz Klumpe, Product Manager Pack­aging bei KHS in Kleve, dessen Vertriebskollegen deshalb mit der Angebotserstellung zum Ende eines jeden Jahres alle Hände voll zu tun haben. „Obwohl wir schon viele Kunden beliefern, die südlich des Äquators produzieren, bestehen diese saisonalen Schwankungen fort.“

»Schon in den Sechzigern hatte Kisters eine Alleinstellung in Europa inne.«

Werner Oster,
Director Project Processing bei KHS in Kleve

Mann der ersten Stunde

Weil aber Leistungsfähigkeit sich nicht in der Kapazität allein erschöpft, lohnt es sich, den Blick auf die technologische Innovationskraft des Unternehmens zu richten. Das gelingt am besten gemeinsam mit Werner Oster, Director Project Processing, der das Werk in Kleve demnächst nach 46 Jahren Betriebszugehörigkeit verlässt, um in den wohlverdienten Ruhestand zu wechseln. 1970 begann er seine Ausbildung als erster Elektrolehrling in einem Unternehmen, dessen Name damals schon weltweit ein Synonym für fortschrittliche Verpackungstechnologie war: „In den Sechzigerjahren war Kisters der erste Hersteller von Verpackungsmaschinen in Deutschland, auf dessen Maschinen unterschiedliche Applikationen liefen. Dank der austauschbaren Formatsätze, die innerhalb von nur zehn Minuten gewechselt werden konnten, sparte man sich die Anschaffung einer zweiten Maschine. Damit hatte Kisters auf dem europäischen Markt damals schon eine Alleinstellung inne.“ In den Siebzigerjahren entwickelte Kisters die erste eigene speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) weltweit für eine Verpackungsmaschine, mit der erstmals Prozesse, der Maschinenstatus, aber auch Fehlermeldungen visuell dargestellt werden konnten. Oster fährt fort: „Ende der Achtziger waren wir dann die ersten, die im Verpackungsbereich in einer Maschine mehrere dezentrale Servoantriebe anstelle des bisher üblichen Zentralantriebs beispielsweise über eine Königswelle eingesetzt haben. Möglich war das nur dank unserer eigenen SPS-Steuerung. Diese war damals schon so konzipiert, dass man anstelle von den sonst üblichen hexadezimalen Eingaben logische Parameter wie Millimeter, Sekunden oder Winkelmaße eingeben konnte“, erinnert er sich. „Außerdem haben wir immer dafür gesorgt, dass selbst die feinste Elektronik von den Bedienern mit den dicksten Handschuhen gesteuert werden konnte.“ Um den Fortbestand ihres Unternehmens über die Zeit ihres eigenen Wirkens hinaus zu sichern, verkauften die Unternehmensgründer 1987 zunächst die Hälfte und später die Mehrheit ihrer Anteile an Klöckner Mercator Maschinenbau in Duisburg. 2003 wurden die Klöckner-Anteile auf die KHS übertragen und das Unternehmen vollständig in diese integriert.

Modulares Maschinenprogramm

Einen regelrechten Quantensprung hatte im Jahr 2000 bereits die Einführung eines modularen Maschinenkonzeptes markiert, das – in weiterentwickelter Form und seit 2013 im KHS-ClearLine-Design – bis heute im Einsatz ist. Damals war auch Klumpe schon dabei: „Bei den bis dahin verkauften Maschinen stellte sich zunehmend drängender die Frage nach Umrüstungen inklusive der Ersatzteilorganisation.“ Die Entwicklung des modularen Programms war die logische Folge, allerdings in der Umsetzung anspruchsvoll. Klumpe legt dar, warum: „Die Umstellung des Programms erforderte zusätzlich rund 60.000 Konstrukteursstunden – und das bei laufendem Betrieb. Unsere Auftragsbücher waren voll. Das bedeutete, dass in den Konstruktionsabteilungen teilweise wirklich sieben Tage die Woche Tag und Nacht durchgearbeitet wurde.“ Das Ergebnis war eine Struktur, innerhalb derer verschiedene Prozessmodule jeweils mit optionalen Bausteinen hochflexibel kombiniert werden konnten. Diese neu entwickelte Baureihe kam im Markt so gut an, dass die erwartete Anzahl an Bestellungen schon im ersten Jahr um ein Vielfaches übertroffen wurde. Derart prägend war das Unternehmen in seiner Branche, dass der Name Kisters längst zum Inbegriff für Traypacker geworden war.

Jüngstes Beispiel für den Ideenreichtum der KHS-Verpackungsspezialisten ist die Erfindung des Nature MultiPacks™: Dabei werden PET-Flaschen mit speziell entwickelten Klebstoffen verbunden anstatt mit einer Verpackung aus Schrumpffolie, Plastikringen oder Karton. Diese neue Verpackungsvariante ist so konzipiert, dass sie dem Transport und der Vertriebslogistik standhält, während der Verbraucher einzelne Flaschen ganz leicht vom Multipack lösen kann. Nature MultiPack™ ist nur eine der durch 427 Patente geschützten Innovationen, welche die Erfinder im Bereich Packaging Technology in Kleve entwickelt haben. „Mit Stolz blicken wir in unserem Werk auf eine lange Tradition als Innovationstreiber zurück“, stellt Christopher Stuhlmann, Director Product Center Packaging Technology, fest. „Mit der konsequenten Neu- und Weiterentwicklung von kunden- und verbraucherorientierten Verpackungslösungen und Maschinen sorgen wir dafür, dass unser ausgezeichneter Ruf fortbesteht und wir unsere Kunden mit disruptiven Innovationen immer wieder überzeugen können.“

Dass das eine gute Idee ist, zeigt die Entwicklung des Marktes, die Karl-Heinz Klumpe so zusammenfasst: „Auch wenn KHS in Kleve immer noch als Vorreiter in der Verpackungsindustrie gilt, hat die Konkurrenz doch aufgeholt. Mit wegweisenden Innovationen werden wir unseren Vorsprung deshalb verteidigen und sogar ausbauen.“ Wenige der Anlagenbauer sind allerdings so international aufgestellt wie der Dortmunder Systemanbieter – insbesondere wenn es um den Service geht, den KHS zunehmend lokaler gestaltet und mit einer wachsenden Zahl an hochqualifizierten Fachkräften weltweit vor Ort realisiert.

»Wir nehmen die Herausfor­derungen des Marktes ernst.«

Wirkungsvolles Instrument

Eine weitere Maßnahme, um im Markt zu bestehen, ist die enge Zusammenarbeit mit dem Kunden im Hinblick auf den Einsatz der Maschinen. Constantin Siemons, Projekt­abwicklung für den Bereich Afrika/Mittlerer Osten, zählt auf, welche konkreten Dienstleistungen Kunden erwarten können. „Wir wollen weiterhin individuelle Kunden-Events veranstalten und haben schon vor fünf Jahren ein sehr wirkungsvolles Instrument erfolgreich reaktiviert: den Kundenworkshop, in dem sich unsere Kunden, deren Materialzulieferer und wir als Maschinenbauer über Bedürfnisse und Erfahrungen austauschen. Wir setzen dabei einen Schwerpunkt auf die Qualität, Lagerung und Handhabung von Verpackungsmaterialien. Im Bereich Entwicklung stellen wir in Zukunft eine komplette Maschine ins Technikum, auf der Kunden mit uns zum Beispiel verschiedene Schrumpffolien testen können. Die Workshop-Teilnehmer gewinnen auch einen Einblick in kommende Entwicklungsvorhaben; bei dieser Gelegenheit können wir Kundenbedürfnisse und zukünftige technische Lösungen abgleichen.“

Vertrauen unverzichtbar

Wie wichtig gerade dieses Thema ist, bestätigt sein Kollege Klumpe: „Für die technische Kundenberatung sind ein vertrauensvolles Verhältnis und die persönliche Ansprache unverzichtbar. Wir nehmen die Herausforderungen des Marktes ernst und beschäftigen uns intensiv mit diesen“, konstatiert er. „Wir müssen so viele Kunden wie möglich nach Kleve einladen, um den Kontakt zwischen ihnen und unserem Werk möglichst intensiv zu gestalten. Ein bisschen ist das wie zu Hause: Wenn ich nie Gäste habe, werde ich nie ein guter Gastgeber. Und der Nutzen liegt auf der Hand: Die direkte Information aus dem Markt ist immer noch die beste.“ Klumpe ist überzeugt, dass KHS sich damit auch in Zukunft einen Vorteil im Markt sichern kann: „Im Gegensatz zum Wettbewerb gehen wir nach dem Rezept der ‚Customizable Machines‘ mit Sonderlösungen auf Kundenbedürfnisse ein. Das wird honoriert, und unsere Kunden melden positiv zurück, dass sie spüren, wie sehr sich das Team in Kleve ganz und gar mit den KHS-Produkten identifiziert.“

Flexibilität ist ein zentrales Anliegen der Kunden. Deshalb freut man sich in Kleve, dass jetzt durch die Kooperation mit dem Verpackungsmaschinenhersteller Gerhard Schubert aus Crailsheim auch Verpackungen wie Baskets und Clusterpacks möglich sind, die das eigene Produktportfolio ergänzen und für mehr Flexibilität sorgen. Einen Nebeneffekt hat die Partnerschaft überdies unter Networking-Aspekten: Schubert verfügt über viele Kontakte im Food-Bereich, von denen auch KHS profitieren kann.

Bei der Frage, was die Zukunft für die Verpackungsindustrie bringen wird, sind sich alle einig: „Smart Machines sind ein zentrales Thema“, stellt Klumpe fest. „Das sind Maschinen, die zum Beispiel das Verpackungsmaterial selbst prüfen, also feststellen, ob die Kartonagen oder die Dosen in Ordnung sind und welche aussortiert werden müssen.“ Oster legt nach: „Wir haben jetzt im Bereich Kartonage schon Maschinen, die sich selbst mit Verpackungsmaterial versorgen, teils mit Hilfe von Robotern. Als Beispiel fällt mir ein finnischer Kunde ein, der uns gesagt hat, dass er während einer Acht-Stunden-Schicht keine Kartons nachlegen müssen will. Für Folie wird das auch kommen.“ Siemons ergänzt: „Immer wieder fordern Kunden Maschinen, die vollautomatisch Formatanpassungen vornehmen können – ganz ohne Formatteile. Auf welchem Wege auch immer, zukünftige Maschinen werden sich schneller und sicherer auf eine immer größere Formatvielfalt einrichten lassen. Dies ist in unserer Branche die zentrale Denksportaufgabe für uns alle.“

Am Ende des Gesprächs wollen wir wissen, wie viele Verpackungsmaschinen aus Kleve heute auf der ganzen Welt in Betrieb sind. Über 3.700 sind es, und die ältesten davon stammen aus den Achtzigerjahren, wie Werner Oster resümiert. Viele von diesen werden ihren Dienst auch dann noch absolvieren, wenn er längst in Rente ist.

Info

Pioniere vom Niederrhein

Maria und Karl Kisters

Mit dem KHS-Standort Kleve ist der Name Kisters untrennbar verbunden: Das sich gut ergänzende Ehepaar – sie Kauffrau mit technischem Verstand, er ideenreicher Schlossermeister – gründet 1957 die „Kisters Maschinen- und Apparatebau GmbH“, die zunächst Maschinen für die Schuhindustrie herstellt. Schnell wenden sich die Kisters auch anderen regionalen Produkten zu, und innerhalb weniger Jahre finden auch Lebkuchen-Schneidemaschinen, Folieneinschlag- und Klebevorrichtungen für Pralinendosen, Waffelfaltautomaten sowie eine Erdnuss-Flips-Maschine Eingang ins Sortiment. Ende der Sechzigerjahre wird aus dem Unternehmen die „Karl Kisters Maschinenbau GmbH“, die sich fortan ganz auf den Bau von Verpackungsmaschinen für die Getränke- und Lebensmittelindustrie konzentriert.

Bereits Mitte der Siebzigerjahre werden Kisters-Maschinen weltweit verkauft. Zu dieser Zeit formuliert Karl Kisters die Mission seines prosperierenden Unternehmens: „Was wir bauen, muss ewig halten.“ Darin drückt sich der hohe Qualitätsanspruch aus, aber auch, dass man in Kleve angesichts des damals noch fehlenden flächendeckenden Service-Netzwerks von einer einmal ausgelieferten Maschine am liebsten die nächsten 20 Jahre in durchgehender Produktion nichts mehr hören möchte.

Karl Kisters akquiriert auf seinen Reisen Aufträge, die seine Techniker teils vor große Herausforderungen stellen – nicht nur, weil der Raucher das Maschinenlayout meist auf das Innenpapier seiner Finas-Zigarettenschachteln zeichnet. Finden seine Konstrukteure einmal keinen Weg, seine Ideen umzusetzen, kommt Kisters montags selbst mit einer Lösung in den Betrieb, die er am Wochenende in der heimischen Garage entwickelt hat. Maria Kisters, zuständig für das kaufmännische Wohl der Firma, erscheint nie ohne ihren Hund im Büro – und wen der Boxer nicht mag, der hat es auch schwer, das Ehepaar in einem Bewerbungsgespräch zu überzeugen.

Bis heute erinnert man sich in Kleve gerne an die Eheleute Kisters, die das Stadtleben auf vielfältige und großzügige Weise gefördert und bereichert haben. Damit das auch in Zukunft so bleibt, widmet sich die aus dem Verkaufserlös des Unternehmens finanzierte Kisters-Stiftung der Ausbildung junger Menschen.