Als vor rund zehn Jahren das vornehme Berliner Hotel Adlon seinen Sommelier Arno Steguweit zu „Europas erstem Wassersommelier“ machte, sorgte das international für Aufmerksamkeit. Folgerichtig stellte man – Noblesse oblige! – eigens eine Wasserkarte mit über 50 Positionen aus 15 Ländern zusammen und mutete damit seinen Gästen außer der Qual der Wahl des Weins nun auch zu, sich für das richtige Wasser entscheiden zu müssen. Angesichts der Preise von bis zu 130 Euro pro Liter Wasser war das auch für den Geldbeutel eine Herausforderung, jedenfalls was Otto Normalverbrauchers Maßstäbe betrifft. Die Restaurants anderer Luxushotels zogen schnell nach, zumal in der Hauptstadt, und lösten einen regelrechten Hype aus: Welches Wasser passt zu welchem kulinarischen Highlight? Wie exotisch und variantenreich muss das Wasserangebot sein, damit Gäste sich angemessen hydriert fühlen?

Steguweit blieb als Wassersommelier nicht lange allein, und so gründete sich Ende 2011 gar die Wassersommelier Union, in der sich heute 60 Mitglieder aus dem In- und Ausland für die Förderung des Kulturgetränks Mineralwasser starkmachen.

Ernüchterndes Wassererlebnis

Von ihrem Temperament hat sie jedenfalls nichts eingebüßt, und so können wir uns gut vorstellen, wie die zierliche Dame im Adlon kürzlich ihrer Enttäuschung Luft gemacht hat. „Ich bin natürlich der berühmten Wasserkarte wegen dahin gegangen. Auf meine Frage hin haben die Kellner mich erst mal entgeistert angeschaut. Ich bin dann mit denen an einen Computer gegangen und habe gegoogelt – da taucht das Adlon ganz weit oben auf. ,Nein, so eine Wasserkarte haben wir schon lange nicht mehr‘, hieß es dann. Und die Handvoll Wässer, die es da heute noch gibt, sind keine Auswahl, für die ich dorthin muss.“ Fündig wird sie dennoch: Es gibt ein Wasser, das für sich in Anspruch nimmt, nicht in einer Flasche, sondern in einer Karaffe abgefüllt zu werden, für die speziell zur Verwendung in der Spitzengastronomie auch ein sty­lisher Metallausgießer entwickelt wurde. Aber Soledad Sichert hat kein Glück: Auf den Tisch kommt das Wasser mit schnödem Schraubdeckel, und auf Nachfrage erntet sie nur ein Schulterzucken. „Das hätte ich dort nicht erwartet. Wenn die das nicht machen, wer macht es dann?“, fragt sie sich einigermaßen ernüchtert.

Regionalität ist wichtig ...

Dabei wäre ihr der Preis eigentlich ganz egal. Die Frage nach ihrer Schmerzgrenze für eine Flasche Wasser beantwortet sie prompt. „Keine! Wenn ich in einem erstklassigen Restaurant einen angemessen hohen Preis für das Essen bezahle, werde ich doch nicht darüber diskutieren, warum das Wasser jetzt ein bisschen mehr oder weniger kostet. Das gehört für mich zum gesamten Paket dazu.“ Bestimmte Anforderungen muss ein Mineralwasser dann aber schon erfüllen – auch über den bloßen Geschmack hinaus. „Das Produkt muss natürlich auch optisch beeindrucken und irgendwie eine Geschichte erzählen.“

Wenn Soledad Sichert für ein Restaurant eine Wasserkarte zusammenstellt oder eine Wasserverkostung durchführt, dann erklärt sie immer auch, warum sie sich ganz persönlich für dieses oder jenes Wasser entscheidet. Auch regionale Aspekte, zum Beispiel wie ein Hersteller mit seiner Heimatregion umgeht, spielen eine große Rolle. „In Sachsen zum Beispiel gibt es einen Mineralbrunnen, der einmal im Jahr ein großes Brunnenfest feiert. Neben vielen Highlights kann dann die Bevölkerung so viel vom heimischen Mineralwasser trinken, wie sie möchte oder kann. So etwas zählt für mich schon.“ Sie selbst bleibt Deutschlands Wässern weitestgehend treu. „Bei über 500 Wassersorten, die in Deutschland abgefüllt werden, muss es doch möglich sein, dass jeder genau das findet, was er sucht. Warum sollte ein regionales Produkt durch die ganze Welt gefahren werden?“

... hat aber auch Grenzen

Allerdings erinnert Soledad Sichert aber daran, dass die Debatte um regionale Produkte auch ihre Grenzen hat: „Versuchen Sie mal einen Tag lang, nur das zu essen, was aus Deutschland kommt. Oder trinken Sie mal nur Weine, die aus Ihrer Region stammen – soweit da überhaupt Wein angebaut wird. Und dann erzählen Sie mir bitte mal von Ihren Erfahrungen. Warum sollte man da ausgerechnet beim Wasser strengere Maßstäbe anlegen?“

Exotik? Eine Frage des Standpunkts

Gefragt, wie sie den Hype um exotische Wässer findet, fragt Sichert zurück: „Was heißt denn exotisches Wasser? Nehmen Sie zum Beispiel dieses Wasser von den Fidschi-Inseln. Wenn ich dort lebe, ist das mein alltägliches Wasser. Letztlich ist das doch eine Frage des Standpunktes. Ich persönlich habe manchmal auch Wasser aus Argentinien – für mich ist das nicht exotisch, sondern repräsentiert ein Stück Heimat. Wenn Sie so wollen, sind ja auch Bananen exotisch, obwohl sie für uns so normal geworden sind wie Äpfel oder Birnen. Die Frage ist, ob ich das haben muss – und mit welchem Aufwand welche Produkte welchen Weg zurücklegen müssen, weil ich nicht darauf verzichten möchte.“

Wie kam sie darauf, sich dem Thema Wasser zuzuwenden? Schon als Kind ist Soledad Sichert viel herumgekommen – auch in Ländern, in denen uns sauberes Trinkwasser ein Problem darstellt. „Wenn man Leitungswasser nicht trinken kann, ohne seine Gesundheit ernsthaft zu gefährden, entwickelt man ein ganz anderes Gefühl für Wasser als hier, wo es jedem selbstverständlich zur Verfügung steht.“ Dass man Wasser kaufen muss, um es zu trinken, erschien ihr bereits als Zehnjähriger ­befremdlich, auch, dass Wasser unterschiedlich schmeckt, je nachdem wo man gerade ist. Das alles hat ihre Aufmerksamkeit schon früh geschärft.

Wasser macht Leute

Glaubt man Sichert, dann wird eine Landschaft von ihrem Wasser geprägt. Für sie gilt das auch in Deutschland: „Je südlicher wir sind, desto spritziger ist das Wasser und entsprechend temperamentvoller sind die Menschen dort. Je weiter nach Norden wir kommen, ­desto stiller werden die Wässer – und die Bewohner auch. Ich weiß zwar nicht, ob es eine Erklärung dafür gibt, aber das ist zumindest meine Wahrnehmung.“

Die Frage, welche Aromen im Wasser denn zu erschmecken seien, erwidert sie mit hochgezogenen Augenbrauen: „Hoffentlich keine, denn dann stimmt etwas mit dem Wasser nicht! Das Einzige, was Sie im Wasser schmecken sollen, ist seine Mineralisierung, also Natriumchlorid, das für einen mehr oder weniger salzigen Geschmack sorgt, Hydrogenkarbonat oder Magnesium und Calcium, die beide sehr deutlich zu schmecken sind. Als unangenehm empfinden Sie Sulfate oder Eisen – das schmecken Sie nicht nur, das können Sie schon riechen.“

Eine von ihnen ist Soledad Sichert aus Windhagen im Siebengebirge. Von ihr wollen wir wissen, was von dem Wasser-Hype der Nullerjahre noch geblieben ist und womit sie und ihre Kollegen inzwischen ihr Geld verdienen, nachdem Häuser wie das Adlon längst erst ihren Wasser­sommelier und dann die Wasserkarte wieder abgeschafft haben.

Wir treffen sie in der Lobby-Bar des Bonner Kameha Grand Hotel, dessen neobarockes Interieur der niederländische Design-Rockstar Marcel Wanders ersonnen hat. In der exzentrischen Nobelherberge, die wie ein Hort des Hedonismus wirkt, erwartet man eigentlich eine lange Liste ausgefallener Wassersorten als Teil des gastronomischen Angebots – leider Fehlanzeige: Mehr als fünf Marken haben es nicht auf die Getränkekarte geschafft, und jede einzelne bekämen wir auch im Supermarkt um die Ecke. Da sind wir deshalb fast froh, dass Soledad Sichert ihre ganz persönliche Wasserschatzkiste mit Kuriositäten aus aller Welt mitbringt und auf dem Tisch als Kulisse für unser Gespräch aufbaut. Fast ihr halbes Leben hat die 45-jährige Argentinierin bereits in Deutschland verbracht, verheiratet mit einem Bayern. So eingedeutscht fühlt sie sich nach all den Jahren, dass ihr Mann der eigentliche Latino von ihnen beiden sei, stellt sie lachend schon bei der Begrüßung fest.

Auch im Privaten schätzt Sichert Vielfalt und Auswahl: „Bei mir zuhause sind immer sieben bis acht unterschiedliche Flaschen geöffnet. Ich trinke morgens nie dasselbe Wasser wie nachmittags oder abends – das gehört für mich zum Tagesablauf.“ Sie selbst schätzt Wasser in Glasflaschen – und ist bereit, dafür Opfer zu bringen. „Ich sage immer: Andere gehen ins Fitnessstudio – ich schleppe Wasserkästen.“ Umso dankbarer ist sie dann für die kleineren Kästen mit weniger Glasflaschen. Ihr aktuelles Lieblingswasser ist ein Produkt aus dem Saarland. „Ich finde die Flasche schön – das ist für mich wichtig – und ich mag die Geschichte der Gräfin, die diese Quelle im 17. Jahrhundert für die Gegend zugänglich gemacht hat, bevor sie bis in die Neunzigerjahre von einer Kongregation geführt wurde. Ich war zwar selbst bisher nicht vor Ort, werde aber sicher noch hinfahren.“

PET versus Glas – Geschmackssache?

Ob man denn den Unterschied zwischen Wasser aus Glasflaschen und Wasser aus PET-Flaschen schmecken könne, wollen wir gerne noch wissen. Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Für mich schmeckt Wasser aus einer PET-Flasche schon mal leicht süßlich, vor allem wenn es sich um ein ganz preiswertes vom Discounter handelt.“ Den Beweis allerdings bleibt sie schuldig: Als wir zum Abschluss unseres Gespräches beide Varianten eines Premium-Wassers verkosten wollen, ist der einzige Unterschied, den wir übereinstimmend wahrnehmen, die Temperatur. Das Wasser aus der Glasflasche kommt frisch aus der Kühlung der Hotelbar, die PET-Flasche aus ihrer Schatztruhe und ist zimmerwarm. Geschmackliche Feinheiten sind unter diesen Bedingungen nicht auszumachen. Ist die Frage nach Glas oder PET vielleicht doch eher eine Glaubensfrage? Soledad Sichert lächelt und schweigt.

Welches Wasser zu welchem Essen?

Und welches Wasser empfiehlt sie zu welchem Essen? Zum Auftakt immer ganz klar ein stark kohlensäurehaltiges Wasser – das rege die Papillen an und bereite Zunge und Gaumen auf die kommenden Genüsse vor. Prinzipiell sei dann alles erlaubt und vieles Geschmackssache. Häufig wähle man etwa Wasser mittlerer und schwächerer Karbonisierung eher als Begleitung zum Weißwein und stelle ein stilles Wasser eher einem Rotwein an die Seite. Immer aber gelte es, die ganz subjektiven Vorlieben zu erkunden. Sichert selbst zum Beispiel ist ein ausgesprochener Fan von Süßspeisen, die sie gerne mit einem eher salzigen Wasser kontrastiert.

Viel zu lachen gibt es im Gespräch mit der temperamentvollen Argentinierin.
Viel zu lachen gibt es im Gespräch mit der temperamentvollen Argentinierin.
Eine ganze Batterie von Wasserflaschen unterschiedlichster Herkunft hat Sichert zur praktischen Anschauung mitgebracht.
Eine ganze Batterie von Wasserflaschen unterschiedlichster Herkunft hat Sichert zur praktischen Anschauung mitgebracht.
Mit Soledad Sichert sprach und trank in Bonn KHS-competence-Redakteur Stuart J. Nessbach (rechts).
Mit Soledad Sichert sprach und trank in Bonn KHS-competence-Redakteur Stuart J. Nessbach (rechts).

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Soledad Sichert auf Twitter
@bonntouren

Website von Soledad Sichert
www.wasser-sommeliere.de

»Bei mir zuhause sind immer sieben bis acht verschiedene Flaschen geöffnet. Ich trinke morgens nie dasselbe Wasser wie nachmittags oder abends.«

Soledad Sichert,
Wassersommelière

»Für mich ist ein Wasser aus Argentinien nicht exotisch, sondern ein Stück Heimat.«

Soledad Sichert,
Wassersommelière