Angrenzend an China, Laos, Kambodscha, den Golf von Thailand und das Südchinesische Meer liegt Vietnam, ein Staat mit etwas mehr als 90 Millionen Einwohnern. 2009 überschritt das Land die Grenze von 1.000 US-Dollar Jahreseinkommen pro Kopf und wird seitdem als »Middle Income Country« bezeichnet. 2013 betrug das Bruttoinlandsprodukt 176 Milliarden US-Dollar und damit pro Kopf bereits 1.960 US-Dollar. Diese Zahlen demonstrieren, dass in Vietnam Aufschwung herrscht. Und sie lassen darauf schließen, dass in den letzten Jahren in vielen Wirtschaftsbereichen ein schnelles Wachstum stattfand. Wie sich die Getränkeindustrie Vietnams entwickelte, die Situation sich derzeit gestaltet und welche Zukunftsvisionen es hier gibt, dazu äußert sich in nachfolgendem Interview mit Dr. Van Viet Nguyen ein profunder Kenner der Branche. Nguyen ist seit 20 Jahren Chairman der Vietnam Beer-Alcohol-Beverage Association und war zuvor Generaldirektor bei Habeco, einer der größten Brauereien im Land.

KHS competence: Sie sind seit Beginn des Wirtschaftsaufschwungs in Vietnam in den 1990er Jahren in der Getränkebranche tätig. Was hat sich seither verändert?

Dr. Van Viet Nguyen: So gut wie alles. Größere Getränkeproduzenten gab es damals nicht. Es wurde fast ausschließlich Leitungswasser getrunken, eventuell gemischt mit etwas Sirup. Der Pro-Kopf-Konsum an Bier lag gerade einmal bei 2 Litern jährlich und traditionelle Spirituosen wie Reisschnaps stellten die Haushalte überwiegend selber her. In den letzten 30 Jahren entwickelte sich in Vietnam nun eine Industrie, die eine nie dagewesene Vielfalt an abgefüllten alkoholfreien und alkoholischen Getränken produziert. Besonders starke Zuwächse erfuhr während dieser Zeitspanne die Braubranche. Sie ist es, die heute das bedeutendste Segment innerhalb der vietnamesischen Getränkeindustrie darstellt. 

»Wer auch weiterhin im vietnamesischen Markt Erfolg haben will, der hat Qualität in das Zentrum aller seiner Aktivitäten zu setzen.«

Wie hoch liegt der jährliche Pro-Kopf-­Konsum an Bier, wie entwickelte er sich über die Jahre hinweg und welche sind die Big Player unter den Brauereien?

Um die Jahrtausendwende war der vietnamesische Pro-Kopf-Konsum an Bier bei knapp 10 Litern und 2005 bei gut 15 Litern angelangt. Heute liegt er bei 32 Litern. In den letzten Jahren betrug das jährliche Bierabsatzwachstum zwischen 8 und 12 Prozent. Für die nächsten Jahre kalkulieren wir mit einem Plus von um die 5 Prozent. Diese vergleichsweise niedrig prognostizierte Zuwachsrate hat natürlich etwas damit zu tun, dass wir in Vietnam bereits jetzt bei einem hohen Bierkonsumniveau angelangt sind. Innerhalb Asiens steht unser Land nach Japan, China, Südkorea und Laos – was den Pro-Kopf-Konsum an Bier betrifft – immerhin schon auf Platz 5 beziehungsweise 6, denn Thailand zieht mit Vietnam in etwa gleich. Insgesamt gesehen sind in Vietnam heute mehr als 117 Brauereien angesiedelt. Die größten vier davon halten einen 95-prozentigen Marktanteil. Das sind Sabeco (circa 45 Prozent), Habeco (circa 21 Prozent), Heineken Vietnam (Asia Pacific Breweries Vietnam und Vietnam Brewery Limited) (circa 21 Prozent) und Carlsberg (circa 8 Prozent). 

Welche Biertypen sind in Vietnam am beliebtesten?

Besonders beliebt sind Lagerbiere mit einem niedrigen Alkoholgehalt zwischen 4 und 4,5 Prozent, denn Bier wird in Vietnam vor allem als erfrischendes Getränk gesehen. Wichtig ist es für die vietnamesische Bevölkerung, ein qualitativ hochwertiges Produkt zu erhalten. Diese Prämisse gilt übrigens nicht nur für Bier, sondern auch für alle anderen Getränke und Konsumgüter, die in Vietnam Erfolg haben sollen. Die Verbraucher sind extrem qualitäts-, aber auch sehr preisbewusst. Gerade der Landbevölkerung bleibt aufgrund ihres meist sehr geringen Einkommens auch gar nichts anderes übrig, als stark auf den Preis zu achten.

Findet Bier- und weiterer Getränkekonsum demzufolge auch heute noch hauptsächlich in den Städten statt?

Genau so ist es. Wenn man sich vor Augen hält, dass 60 Prozent der Landbevölkerung 20 Prozent des Volkseinkommens erwirtschaften, ist das in sich schlüssig. Auf der anderen Seite verdeutlichen diese Zahlen, wie viel an Potenzial für die Getränkebranche Vietnams noch vorhanden ist, denn auch außerhalb der Städte wird es in Zukunft weiteres Wohlstandswachstum geben.  

Wie sehen Viet­namesen internationale Premiumbiere? Haben sie in Vietnams Städten große Wachstumschancen?

Vietnamesen differenzieren generell nicht so stark zwischen internationalen Premiumbieren und einheimischen Markenbieren. Die Hauptsache ist für sie wie gesagt die Qualität. Ich möchte dabei allerdings nicht ausschließen, dass der Konsum von internationalen Premiumbieren für die obere Einkommensschicht auch so etwas wie ein Statement sein kann.

Dr. Van Viet Nguyen, Chairman der Vietnam Beer-Alcohol-Beverage Association.
Dr. Van Viet Nguyen, Chairman der Vietnam Beer-Alcohol-Beverage Association
Dr. Van Viet Nguyen, Chairman der Vietnam Beer-Alcohol-Beverage Association
Dr. Van Viet Nguyen, Chairman der Vietnam Beer-Alcohol-Beverage Association

Dr. Van Viet Nguyen
Chairman der Vietnam Beer-Alcohol-Beverage Association

Wenn vietnamesische Brauereien derart qualitätsbewusst agieren, müssten ihre Biere auch außerhalb Vietnams geschätzt werden. Spiegelt sich das in hohen Exportraten wider?

Was Exporte angeht, stehen wir ganz am Anfang. Gerade einmal 1 Prozent der Bierproduktion verlässt unser Land und dann vor allem in Richtung Südostasien. Das ist ein Bereich, der sicherlich noch ausbaufähig ist. Eine weitere Entwicklung, die auf dem vietnamesischen Markt bereits begonnen hat, jedoch noch in den Kinderschuhen steckt, ist die der Craft-Brauereien. 

Eine enorme Karriere machte in Vietnam in den letzten Jahren Bier in der Dose. Woran genau liegt das Ihrer Meinung nach?

Dosenbier ist in Vietnam eine relativ neue Errungenschaft und kam erst Mitte der 2000er Jahre in den Markt. Zunächst einmal kaufte der Verbraucher Dosenbier vor allem deshalb, weil Fälschungssicherheit gegeben ist. Erst später kam der Aspekt dazu, dass man mit Dosenbier westlichen Lifestyle demonstriert. Aus welchen Gründen der Einzelne sich auch dafür entscheidet – der Erfolg dieses Gebindes ist unbestritten. Sicherlich auch wegen des hohen Convenience-Faktors. Innerhalb von knapp zehn Jahren hat es die Dose geschafft, 40 Prozent aller Bierabsätze auf sich zu vereinen. Auf Kosten der Glasflasche, auf deren Konto noch 50 Prozent gehen. Verbleibende 10 Prozent des Bierabsatzes werden mit Keg-Gebinden realisiert.

Ist Bier in Vietnam bei Männern und Frauen heute gleichermaßen beliebt?

Nein, Vietnam ist noch stark traditionsbehaftet und unserer Tradition gemäß sollten Frauen kaum Alkohol trinken. Diese Einstellung wird sich meiner Meinung nach nur sehr langsam ändern.

Wie lautet ihre Zukunftsvision zum vietnamesischen Biermarkt?

Ich denke, dass der Pro-Kopf-Konsum an Bier in zehn Jahren durchaus bei 50 Litern liegen kann. Auch, weil die Landbevölkerung in der Lage sein wird, Jahr für Jahr mehr am Konsum von industriell produzierten Lebensmitteln und Getränken teilzunehmen. Meiner Meinung nach profitieren vor allem die Brauereien von einem Wachstum, die verstanden haben, wie wichtig für den vietnamesischen Verbraucher Bierqualität ist. Aus diesem Grund sehe ich auch für kleine qualitätsorientierte Braustätten, wie es Craft-Brauereien sind, jede Menge Zukunftschancen. 

Betrachten wir den Markt der alkoholfreien Getränke. Gibt es auch hier nur eine Handvoll Hersteller, die den Markt dominieren?

Ja, das stimmt. Im Ranking stehen hier die drei Unternehmen Pepsico Vietnam (circa 26 Prozent Marktanteil), Tan Hiep Phat (circa 23 Prozent Marktanteil) und Coca-Cola Vietnam (circa 11 Prozent Marktanteil) ganz vorne. Die zehn größten alkoholfreien Getränkeproduzenten halten einen Marktanteil von etwa 75 Prozent. Betrachtet man den alkoholfreien Getränkemarkt in seiner Gesamtheit, hat er sich in den vergangenen Jahren ­enorm entwickelt. Verkaufszahlen lagen 2010 bei knapp 32 Millionen Hektolitern, 2011 bei etwa 39 Millionen Hektolitern, 2012 bei mehr als 42 Millionen Hektolitern und 2013 bei um die 45 Millionen Hektolitern. 

Welche alkoholfreien Getränke konsumieren Vietnamesen denn besonders gerne?

Knappe 60 Prozent der Absätze betreffen abgefülltes Wasser. Gute 35 Prozent gehen auf das Konto von karbonisierten Erfrischungs­getränken und stillen fruchthaltigen Geträn­ken und um die 5 Prozent werden mit inno­vativen Produkten wie Wellness- oder Energy-Getränken realisiert. Zuwächse verbuchen derzeit vor allem die Segmente Wasser und stille fruchthaltige Getränke auf sich, während kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke genauso wie Wellness- und Energy-Getränke leichte Rückgänge aufweisen.

»Innerhalb von knapp zehn Jahren hat es die Dose geschafft,
40 Prozent der Bierabsätze auf sich zu vereinen.«

Für welche alkoholfreien Getränke­segmente sehen Sie in Zukunft noch deutliche Wachstumschancen?

Vor allem für abgefülltes Wasser. Bislang wird abgefülltes Wasser hauptsächlich von der Stadtbevölkerung gekauft. Auf dem Land ist dagegen Wasser aus dem Wasserhahn immer noch der Standard. Das heißt mit wachsendem Wohlstand der Landbevölkerung ist es sehr wahrscheinlich, dass sie – allein schon aus Hygiene- und Gesundheitsgründen – immer mehr zu dieser Alternative greift. Außerdem sehe ich in Zukunft eine verstärkte Hinwendung der viet­namesischen Bevölkerung zu gesunden Produkten. Abgefüllte alkoholfreie Getränke, die einen konkreten Zusatznutzen bieten wie beispielsweise vitaminisierte Wässer, Teegetränke oder mit Ballaststoffen angereicherte Wellnessgetränke haben daher meiner Meinung nach sehr gute Wachstumschancen. Alles in allem denke ich, dass wir im Bereich der abgefüllten alkoholfreien Getränke in Vietnam auch innerhalb der nächsten zehn Jahre noch bei jährlichen Wachstumsraten zwischen 6 und 8 Prozent liegen werden.

Wie gestaltet sich die Gebindesituation bei den alkoholfreien Getränken?

90 Prozent gehen in der PET-Flasche an den Verbraucher. Verbleibende 10 Prozent betref­fen mehrheitlich die Glasflasche und zu einem nur geringen Anteil die Dose und das Keg. Dieses prozentuale Verhältnis wird sich sicherlich eher noch weiter zugunsten der PET-Flasche entwickeln. 

Bleibt noch die Frage, wie sich die Ent­wicklung der im Vergleich zu Bier stärker alkoholhaltigen Getränke in Vietnam gestaltet? Ist beispielsweise der klassische Reiswein weiterhin populär?

Nach wie vor steht Reiswein – und zwar hausgemachter – in der Provinz unter den stärker alkoholhaltigen Getränken ganz vorne. Wir schätzen, dass jährlich etwa 200 Millionen Liter davon konsumiert werden. In den Städten ist Reiswein zwar auch beliebt, hier geht es jedoch um abgefüllten Marken-Reiswein. Etwa 25 Millionen Liter davon gehen jährlich über den Ladentisch. Betrachtet man das Gesamtmarktvolumen an abgefüllten Spirituosen und Wein, beträgt es circa 65 Millionen Liter pro Jahr. Damit ist Reiswein die meistverkaufte Spirituose im Land, die zudem die höchsten Wachstumsraten (mehr als 30 Prozent) auf sich verbucht.

Besonders wachstumsstark sind daneben Wein, Wodka und Cognac. Allerdings von einem deutlich niedrigeren Absatzniveau ausgehend. Der Wodka- und Cognac-Konsum im Land beträgt heute 5 Millionen Liter, der Weinverbrauch 13 Millionen Liter pro Jahr. Das liegt daran, dass diese Produkte zu einem hohen Preis verkauft werden und sie sich nur besonders gut verdienende Vietnamesen leisten können. Wer beispielsweise heute in einem guten Restaurant isst, dazu ein Glas Wein trinkt und nach dem Essen einen Cognac als Digestiv ordert, der demonstriert auch seine hohe gesellschaftliche Stellung.

Angenommen, Sie könnten allen viet­namesischen Getränkeherstellern nur eine Empfehlung für die Zukunft geben – wie genau würde sie lauten?

Das ist einfach: auf Qualität, Qualität und nochmals Qualität achten. Wer im vietnamesischen Markt weiterhin Erfolg haben will, der hat Qualität in das Zentrum sämtlicher Aktivitäten zu setzen. Das schließt die Investition in hervorragende Rohstoffe ebenso mit ein wie in beste technische Lösungen. Und natürlich sind auch an das Marketing und den Service höchste Qualitätsmaßstäbe anzulegen.

Herr Dr. Van Viet Nguyen, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.